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Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Titel: Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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damit?«
    Aber Paul hatte sich bereits zu Rose umgedreht, die drängend auf ihn einsprach. »Sie müssen sofort aufbrechen, wenn Robert nicht zu spät kommen soll …«
    Jetzt durchschaute Charmaine den Plan. »Was reden Sie da?Sie wollen Dr. Blackford holen, obwohl Sie wissen, dass John ihn ablehnt?«
    Das Schweigen der beiden war mehr als beredt.
    »Ich kann es nicht glauben! Sie haben Ihr Wort gegeben!«
    »Charmaine …«
    »Kind«, beruhigte sie Rose, »uns bleibt keine Zeit für Erklärungen. Pierre stirbt.«
    »Nein!«, widersprach Charmaine heftig. »Sie irren sich. Sie täuschen sich ganz schrecklich!«
    »Ich wünschte, es wäre so. So wie John wollen Sie nicht wahrhaben, was Sie längst wissen. Der Junge stirbt, und wenn wir Dr. Blackford jetzt nicht rufen, wird John sich morgen die größten Vorwürfe machen. Und nicht nur wegen des Unglücks.«
    Charmaines Blick suchte Pauls Augen, suchte ein Zeichen der Hoffnung, aber umsonst. »Sie haben John absichtlich getäuscht, ihn dazu gebracht, das Zimmer zu verlassen! Aber Pierre wird nicht sterben. Gott fordert nicht das Leben eines unschuldigen Kindes – nicht, wenn so viele für seine Genesung beten.«
    Aber ihre Worte verhallten. Es gab keine Hoffnung, keine Wunder, die man der Hand des Allmächtigen hätte entreißen können. Paul wandte sich verzweifelt ab, und Rose sah stumm zu Boden.
    Stille. Erschöpft sank Charmaine in den Sessel, auf dem John eben noch gesessen hatte, und suchte Zuflucht in der Stille, die sie drei lange Tage entbehrt hatte. Es war eine unglaublich friedvolle Stille, die sie einhüllte, eine Stille, die sich selbst genügte. Charmaine lauschte, um zu ergründen, was mit einem Mal so anders war. Die Last der vergangenen Tage war getilgt und die falsche Sicherheit verschwunden. Es gab nur noch diese Stille. Nichts weiter. Das leise Pfeifen war verstummt.
    In der nächsten Sekunde sprang sie auf, warf sich über das Bett, griff nach Pierre. »Rose! Er bekommt keine Luft! Ich höre seinen Atem nicht mehr!« Sie zog die Decken beiseite und schüttelte das Kind. »Pierre … atme! Guter Gott … atme!«
    Doch ihre Bitte verhallte ungehört, und ganz langsam, schmerzhaft langsam, verschaffte sich die Wahrheit Gehör. Sie sah auf den Kopf auf ihrem Arm hinunter, auf die langen Wimpern, die leicht geröteten Wangen. Mit tiefem Stöhnen drückte sie den schlaffen Körper an ihre Brust, vergrub die Lippen in den verklebten Haaren und schluchzte bitterlich.
    »Charmaine …«
    Aus weiter Ferne hörte sie Pauls Stimme, fühlte, wie er ihre Arme löste, sah, wie Rose den leblosen Körper aufs Bett zurücklegte, fühlte, wie man sie wegzog und immer weiter wegzog, bis alles vor ihren Augen verschwamm …
    »Lassen Sie mich los!«, protestierte sie, als sie wieder bei sich war, und streckte die Arme aus, um Pierre zu berühren.
    »Charmaine, es ist gut!«, sagte Paul. »Pierre ist tot. Sie haben lange genug durchgehalten.«
    Mit aller Kraft, die sie aufbieten konnte, riss sie sich los, aber dann sah sie Pierre reglos auf dem Bett liegen und hielt inne.
    »Er hat seinen Frieden«, murmelte Rose.
    Der Satz schnitt Charmaine wie ein Messer ins Herz. Sie wollte nichts mehr hören und floh aus dem Zimmer.
    »Charmaine … warten Sie!«
    »Lassen Sie sie gehen.« Rose hielt Pauls Arm fest. »Sie muss jetzt allein sein, und ich brauche Sie hier.«
    Charmaine erreichte die Treppe und stolperte nach unten, weil ihr die Tränen die Sicht raubten. Mehrmals musste sie nach dem Geländer greifen, um nicht zu stürzen. Sie rannte quer durch das Foyer und weiter durch den verlassenen Ballsaal bis zur Tür der Kapelle. Sie unterdrückte ein Schluchzen, schloss die brennenden Augen und, bevor sie richtig denken konnte, betete sie: Gütiger Gott im Himmel, hilf mir, deinen Willen anzunehmen. Bitte … schenke mir die Kraft …
    Sie hatte den Vorraum bereits betreten, als sie ihn entdeckte. John hing halb sitzend, halb kniend in der hintersten Bank und hatte die Ellenbogen auf die Rückenlehne vor ihm gestützt. Die Fingerknöchel traten weiß hervor, so heftig presste er die Stirn in seine Hände.
    Er hob den Kopf, er sprang auf und klammerte sich haltsuchend an sie. »Was ist mit Pierre? Geht es ihm gut?«
    Als sie zögerte, schob John sie nur wortlos zur Seite.
    »Tun Sie das nicht, John.« Sie schlug die Hand vor den Mund. »Pierre ist tot. O Gott, John, er ist tot.«
    Stumm starrte John vor sich hin … als ob die Worte sein Herz und seine Seele zerstört

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