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Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Titel: Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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Benitos Empörung zu achten.
    »Ich kann nichts dazu sagen, Madam«, erwiderte Felicia. »Ihr Mann hat geläutet, aber alle waren in der Messe. Bevor ich oben war, kam er mir schon entgegen. Er hat verlangt, dass Master Paul und Travis beim See nachsehen.«
    »Weswegen denn? Was ist denn los?«
    »Offenbar gibt es ein Problem, aber mehr hat er nicht gesagt.«
    Als immer mehr Zeit verstrich und klar war, dass die Messe nicht fortgesetzt werden würde, gingen die Leute auseinander.
    »Kommt, Mädchen«, drängte Charmaine, »wir wollen nach Pierre sehen.«
    Im Kinderzimmer war es ungewöhnlich still. Im nächsten Moment wusste Charmaine, warum: John und Pierre waren nicht da. Wenn sie das Bett des Jungen leer vorgefunden hatte, war sie bisher immer besorgt gewesen. Aber diesmal lächelte sie. Pierre war bei John gut aufgehoben. Noch eine letzte Stunde.
    Ein durchdringender Schrei vernichtete alle glück lichen Gedanken, dann donnernde Schritte.
    Pauls verzweifelte Stimme drang zu ihnen empor – ein Feuerwerk an schnellen Befehlen. »Holen Sie Blackford! Jetzt, verdammt! Und Decken. Ich brauche Decken! Alle, die Sie finden können! Und suchen Sie Rose! Schnell!«
    Stille. Eine Sekunde. Und dann: »John … Mein Gott, wo warst du?«
    Eine andere Stimme … Johns Stimme. »Was, zum Teufel …«
    Dann wieder Paul: »Wir müssen ihn nach oben bringen! Verdammt, John! Er hat eine Menge Wasser geschluckt! Wir sind …«
    »Welches Wasser? Wo, um alles in der Welt, hast du ihn gefunden?«
    »Am See! Guter Gott, John, wir haben keine Zeit für Erklärungen! Wir müssen Robert holen!«
    »Gib ihn mir, Paul. Verdammt, Paul, gib ihn mir endlich!«
    Mittwoch, 11. Oktober 1837
     
    Am dritten Morgen in Folge stieg die Sonne am klarblauen Himmel empor und schenkte der Welt einen neuen Tag. Und am dritten Morgen in Folge herrschte im großen Herrenhaus auf Charmantes dieselbe bange Erwartung, wann es endlich gute Nachrichten aus dem Zimmer der Gouvernante gab.
    Pierre lag in einer Art Fieberdelirium. Er wurde in einem Malstrom von Halluzinationen fortgerissen, und immer wieder starrte er mit weit aufgerissenen Augen zu den Ungeheuern an der Decke empor. Aber wenn Charmaine seinen Namen rief, reagierte er nicht.
    Kaum dass Rose die Bettwäsche gewechselt hatte, war der Junge schon wieder von Kopf bis Fuß durchgeschwitzt. Danach wechselte sie die Kompressen auf der glühenden Stirn. Pierre bäumte sich kurz gegen die Kälte auf, aber Rose wechselte die Kompressen in kurzer Folge, weil sie im nächsten Moment schon wieder warm waren. Bisher hatten ihre Hausmittel keine große Wirkung gezeigt, aber deswegen verzweifelte sie nicht. Sie reichte Charmaine die Tücher und sprach leise murmelnd ihre Gebete, während die schimmernden Perlen des Rosenkranzes durch ihre Finger glitten.
    Im Lauf des Tages veränderte sich Pierres Zustand. Er kämpfte gegen die Decken, die ihn in einer Sekunde zu ersticken drohten und in der nächsten nicht genug wärmten. Die kleinen Zähnchen klapperten in einem scharlachroten Mund. Er begann zu stöhnen und stieß zusammenhanglose Sätze und Wörter wie »Mama« oder »Mainie« hervor. Charmaine tröstete ihn mit sanftem Streicheln und ermutigenden Worten und fluchte innerlich, dass sie nicht mehr tun konnte.
    Als die Schatten länger wurden und die Uhr in der Halle sieben Mal schlug, legte sich eine unwirkliche Stille über das Krankenzimmer. Pierres Unruhe war vorüber, aber seine Lungen kämpften darum, ein wenig Luft zu bekommen. Ein leises Pfeifen war zu hören, und der Brustkorb hob und senkte sich kaum merklich. Rose schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer, woraufhin Charmaine ihren Platz einnahm. Ihre Müdigkeit nahm sie nicht zur Kenntnis. Sie würde erst zu Bett gehen, wenn sie sicher war, dass der Junge sich erholte.
    Mit diesem Gedanken war sie nicht allein. Von allen, die nach Pierre gesehen und sich inzwischen unten in der Halle versammelt hatten, gab es nur einen, der den Jungen keine Sekunde allein gelassen hatte. Er hatte das Zimmer nur zu nötigen Verrichtungen verlassen und noch nicht einmal etwas zu sich genommen. Charmaines Blick wanderte über das Bett zu John hinüber. Er war endlich eingeschlafen, und sein Kopf war gegen die Sessellehne gesunken. Sie seufzte. Zum Glück musste sie die Verzweiflung und die Schuldgefühle in seinem Blick nicht mehr sehen. So sehr seine Erschöpfung sie auch beunruhigte, so war sie doch heilfroh, dass er endlich schlief und nicht mehr auf und ab

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