Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)
wusste. Aber mein Vater verweigerte ihr das Sorgerecht für die Mädchen, und Colette konnte sich nicht von den Kindern trennen. Das führte zu einer wilden Auseinandersetzung. Mein Vater und ich sagten beide Dinge, die wir einander nie wieder vergeben können. Ich erinnere mich vage, dass er irgendwann zusammenbrach, aber ich konnte nicht aufhören, ihn anzuschreien. Irgendwann rief Colette, dass ich das Haus verlassen und abreisen solle, und dann hat mich Paul aus dem Zimmer gezogen …
Ich liebte Colette, Charmaine, und ich werde sie immer lieben. Und nach all den Jahren kenne ich jetzt endlich die Wahrheit: Colette war nicht hinter dem Geld her, aber eine Heilige war sie auch nicht. Sie hat meinen Vater geheiratet, weil er ihr Gewalt angetan hat, und sie blieb wegen der Mädchen bei ihm … und wegen ihrer Schuld. Er hat ihre Gefühle benutzt, aber dafür hat sie ihn auch nicht geliebt.«
Mit brennenden Augen sah er Charmaine an. »Den Rest kennen Sie«, murmelte er mit rauer Stimme. »Sie hat sich geweigert, ihn zu verlassen, ihn jemals zu verlassen. Als mir klar wurde, dass er den Anfall überleben würde, kehrte ich nach Virginia zurück. Allein.« Er drehte sich wieder zu den französischen Türen um. »Zumindest wird mich die Vorstellung, wie sie vor ihm kniet und ihn um Verzeihung bittet, nicht länger verfolgen, weil ich endlich die Wahrheit kenne. Sie hat mich geliebt.«
Frederic umarmte Jeannette ein zweites Mal und sah dann zu Paul empor. »Bitte, bringe die Mädchen ins Kinderzimmer. Vielleicht kann Rose sich um sie kümmern, falls Miss Ryan nicht da ist.«
Paul nickte. »Es tut mir leid, Vater. Ich wollte Yvette noch beruhigen, aber da war sie schon davongerannt, um John zu suchen. Bist du sicher, dass es dir gut geht?«
»Ja, es geht mir gut. Du kannst jetzt Agatha zu mir schicken.«
Agatha zog sich einen Stuhl neben den Sessel ihres Mannes. »Es tut mir sehr leid«, flüsterte sie, »dass ich all das verursacht habe.«
Überrascht musterte Frederic ihr Gesicht und suchte nach einem sichtbaren Zeichen der Zerknirschung, die in ihrer Stimme mitschwang. »Warum hast du Miss Ryan gesagt, dass ich die Mädchen in ein Internat schicken will?«
»Wir haben doch darüber gesprochen.« Sie sah auf ihre Hände hinunter und spielte nachdenklich mit ihrem Ehering. »Ich weiß, die Sache war noch nicht entschieden, und ich hätte besser meinen Mund halten sollen. Aber Miss Ryan ist zuweilen sehr vorlaut, worauf es mir unvorsichtigerweise herausgerutscht ist. Es tut mir leid.«
»Und John … Du hast dafür gesorgt, dass ihm dieselbe Geschichte zu Ohren kommt, nicht wahr?«
Agatha straffte die Schultern. »Seit wann glaubt John denn, was ich sage?«
Frederic ließ sich Zeit. Agatha hatte recht. Es schmerzte ihn, dass John nur nach einer Entschuldigung gesucht hatte, um ihn anzugreifen. Und dass er das vor der Gouvernante getan hatte, machte die Sache noch schlimmer. Bestenfalls.
Bevor er weiter grübeln konnte, ergriff Agatha wieder das Wort. »Ich habe über alles nachgedacht, was ich heute Morgen zu dir gesagt habe, Frederic. Es war falsch, so etwas zu sagen. Ein unverzeihlicher Fehler. Du hast so schon viele Verletzungen von deinen liebsten Menschen um dich herum hinnehmen müssen, dass ich zutiefst bedauere, mich ihnen angeschlossen zu haben.«
»Agatha … bitte«, flehte er inständig und wehrte zugleich das Mitgefühl ab, das sie ihm offenbar zugedacht hatte. »Die Beisetzung findet in einer knappen Stunde statt, und ich brauche noch etwas Zeit für mich allein, um mich auf diesen qualvollen Augenblick vorzubereiten.«
»Wie du meinst, mein Liebster, ganz wie du meinst.« Damit verließ sie ihn ohne die Gewissheit, wie der Streit von diesem Morgen letztlich enden würde.
9
Freitag, 13. Oktober 1837
Charmaine schrak hoch und saß gleich darauf senkrecht in Pierres Bett. Sie war aufgewacht, weil jemand weinte. Rasch schlich sie zu Jeannette hinüber und setzte sich zu ihr. »Wach auf, mein Schatz, du hast schlecht geträumt.«
Ganz langsam tauchte das Mädchen aus den Tiefen des Schlafs empor. »Oh, Mademoiselle«, wimmerte sie, »wir waren mit Johnny im Ruderboot. Es fing an zu schaukeln … und Pierre fiel ins Wasser! Aber dann fing er an zu schwimmen und hat es, glaube ich, geschafft.« Sie stöhnte aus tiefstem Herzen. »Warum ist das nicht in Wirklichkeit auch so gewesen? Ich vermisse meinen Bruder so sehr!«
»Ich weiß, mein Mädchen, ich weiß«, tröstete Charmaine sie. »Aber
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