Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)
ein paar Minuten später noch immer im Sattel saß.
John band Phantom los und schwang sich in den Sattel. Der Hengst schnaubte und schüttelte den Kopf, aber sein Reiter hielt ihn mit eiserner Hand unter Kontrolle und ritt zu Charmaine hinüber.
»Geht es schon besser?«, fragte er. An den weiß hervortretenden Knöcheln sah er, wie fest sie die Zügel umklammerte.
»Ein wenig. Wollen Sie Pierre wirklich mitnehmen?«
»Aber natürlich. Warum fragen Sie?«
»Wir sollten ihn vielleicht lieber bei Rose lassen.«
John runzelte die Stirn.
»Ich sorge mich nur um seine Sicherheit«, fügte sie hinzu. »Der Hengst ist so wild.«
Sofort wurde sein Gesichtsausdruck weicher. »Damit man mich auf dem Hintern landen sehen kann, muss man mich erst einmal abwerfen. Pierre ist bei mir sicher aufgehoben. Außerdem kann ich ihn doch jetzt nicht enttäuschen.« Er sah auf den Kleinen hinunter, der immer noch geduldig dastand und vor freudiger Erwartung strahlte.
Charmaine merkte, dass Johns Entschluss feststand.
»Außerdem gehört ihm der Tag genauso wie seinen Schwestern. Glauben Sie vielleicht, dass wir Spaß haben würden, wenn wir ihn heulend zu Hause sitzen lassen?«
»Vermutlich nicht«, musste sie zugeben. »Aber manchmal läuft nicht alles so, wie man …«
»Muss ich es wirklich aussprechen, Charmaine? Niemals würde ich ein Kind in Gefahr bringen, und Pierre erst recht nicht.« Er gab George ein Zeichen, dass er ihm den Jungen nach oben reichte, und setzte ihn vor sich auf den Sattel.
Als er Phantom antrieb, quietschte der Kleine vor Vergnügen, und Charmaine war froh, dass sie ihn nicht zu Hause gelassen hatten.
Yvette verbat sich die Anweisungen ihres Bruders. »Ich bin schließlich auch allein in den Sattel gekommen.«
Also ritt John wieder zu Charmaine und zeigte ihr, wie man das Pferd antrieb und die Zügel richtig einsetzte. Alles schien kinderleicht zu sein. Er ermunterte sie, den Griff um die Zügel zu lockern. Sich daran zu klammern, schützte nicht vor einem Sturz, sondern provozierte eher einen Abwurf. »Die Stute ist bestens zugeritten.« Mit leisem Lachen versuchte er ihre neu erwachten Ängste zu besänftigen.
Yvette zog kurz an den Zügeln, damit Spook den Kopf hob, und ritt über die Zufahrt voraus. Als Nächste folgte Jeannette.
John nickte Charmaine zu. »Und jetzt Sie.«
Charmaine atmete kurz ein. Dann folgte sie tapfer dem Beispiel der Zwillinge und war überrascht, als die Stute ihren Kommandos gehorchte. Dann waren sie unterwegs. Sie winkten George zum Abschied zu und ritten durch das Tor auf die Straße hinaus. Als die Stute gehorsam den Ponys folgte und Charmaine den gleichmäßigen Rhythmus des Pferdes unter sich spürte, wich ihre Anspannung ganz allmählich.
Frederic stand noch immer auf der Veranda und wurde von Erinnerungen heimgesucht. Du bist nie zu Hause, um dich um die Kinder zu kümmern … Lieber hätte ich ein Pferd … Es muss ja nicht in eine Schachtel passen, Papa … Du hättest es auch mit einer blauen Schleife um den Hals im Stall verstecken können … John liebt sie … Er wird dafür sorgen, dass sie gut aufgehoben sind … Das Fohlen hält uns für seine Herren, vielleicht könnte ich es ja bekommen … Colette hat mir geschrieben … Um die Kinder mit der Liebe und Zuneigung zu versorgen, die sie von dir nicht bekommen … Niemals würde ich ein Kind in Gefahr bringen und Pierre erst recht nicht …
Die Reiter waren schon lange außer Sicht, als Frederic ins Haus zurückkehrte. Er war allein, und schuld daran war nur er. Seufzend sah er auf den Korb mit den schlafenden Kätzchen hinunter.
Kätzchen … Beim letzten Geburtstag hatte Yvette ihn um ein Pony angebettelt – und er hatte entschieden, ihr ein Kätzchen zu schenken. Wie konnte er nur annehmen, dass ihr das Geschenk gefiel? Er wusste, was sie sich wünschte, aber hatte er ihr zugehört? John dagegen war kaum sechs Wochen im Haus und kannte bereits ihre geheimen Sehnsüchte. Sein Sohn erfüllte Colettes letzten Wunsch.
Und dann war da noch Pierre. Er war zu klein, um zu beklagen, was er von seinem Vater nie bekommen konnte – was seine Kindheit und die Umstände um seine Geburt ihm vorenthielten. Es dauerte nicht mehr lange, bis auch er neun Jahre alt werden würde.
Neun … War es möglich, dass Yvette und Jeannette schon neun Jahre alt waren? Frederic blickte über die Jahre auf den Tag zurück, als seine Gebete erhört worden waren und seine Frau die Geburt der Zwillinge glücklich
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