Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)
Yvette.
»Wir sollten ihn George zeigen«, schlug John vor und schmunzelte. »Er kennt sich mit religiösen Gegenständen genauso gut aus wie mit Geld. Der Kelch interessiert ihn bestimmt sehr.«
»Wo kommt er wohl her, Johnny?«, fragte Yvette.
»Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe eine Idee.«
»Und welche?«
»Vielleicht stammt er aus dem Wrack, das vor etwa fünfzehn Jahren das andere Überbleibsel namens Father Benito an Land gespült hat.«
»Davon hast du uns noch nie erzählt!«
»Das war auch nicht so wichtig! Wenn Paul und ich nur gewusst hätten, wen wir da aus der Brandung fischen, hätten wir ihn glatt ertrinken lassen. Als wir gehört haben, dass der Mann Priester ist, war es zu spät.«
Jeannette kam ihrer Schwester zuvor. »Habt ihr ihm das Leben gerettet?«
»Leider ja.«
Charmaine verkniff sich eine weitere Ermahnung, denn was hätte es genützt? »Was geschah mit den anderen?«
»Außer Father Benito gab es keine Überlebenden.«
Johns Blick schweifte in die Ferne, als ob er die Szene wieder vor sich sah. »Es war eine schreckliche Nacht, überall auf der Insel herrschte Nebel, und außerdem zog ein Sturm auf. Die Wellen gingen hoch. Die Küste selbst war nicht auszumachen und der Leuchtturm praktisch nutzlos. Das Schiff zerschellte am Riff. Vermutlich nahe der Stelle, wo Yvette den Pokal entdeckt hat. Die Leute aus der Stadt gaben Alarm und kamen zur Farm, um Sträflinge als Helfer zu erbitten. Vater schloss sich den Männern an und verbot uns, den Besitz zu verlassen. Aber George, Paul und ich wollten uns die Aufregung natürlich nicht entgehen lassen. Was wussten wir denn schon von Unglück und Tod? Wir schlichen heimlich davon und waren vor den anderen am Strand. George sah ihn als Erster, wie er leblos in der Brandung trieb, und sprang ins Wasser, bevor wir ihn zurückhalten konnten. Da man mir den Kopf abgerissen hätte, wenn George ertrunken wäre, sprang ich ihm nach. Zusammen zerrten wir den reglosen Körper aus dem Wasser und hatten nur Angst davor, eine Leiche zu bergen. Als der Mann stöhnte, merkten wir, dass er noch lebte. Am nächsten Tag hat die Brandung die übrigen Toten an Land gespült. Von dem Wrack dagegen wurde bisher kaum etwas gefunden.« Er besah sich den Pokal von Neuem und schüttelte den Kopf. »Unser Vater hat Benito die Stellung als Kaplan angeboten, und als er sich erholt hatte, schrieb er an seinen Bischof in Rom und erhielt die Erlaubnis, die schwarzen Seelen der Insulaner zu betreuen.«
»Hm!«, schnaubte Yvette. »Ihr hättet ihn ertrinken lassen sollen.«
»Aber Yvette!«, schimpfte Charmaine und wandte sich an John. »Da sehen Sie, wohin Ihr Hohn führt!«
»Ich sehe alles ein.« Er rieb sich die Stirn. »Wir wechseln besser das Thema.«
Yvette riss ihm den Pokal aus der Hand und legte ihn in den Picknickkorb, um ihn sicher zu verwahren. Father Benito würde sie ihn jedenfalls nicht überlassen – so viel stand fest. »Wenn er ihn fünfzehn Jahre lang nicht vermisst hat, gehört er jetzt mir.«
»Wir haben einen Jungen im Wasser gesehen«, berichtete Jeannette.
»Das stimmt.« Yvette nickte. »Als ich auch ins Wasser wollte, hat Jeannette gedroht, mich zu verpetzen.«
»Das war gut so«, erklärte Charmaine. »Anständige junge Ladys schwimmen nicht.«
»Aber es macht doch Spaß«, widersprach Yvette. »Es ist unfair, dass anständigeLadys überhaupt keinen Spaß haben dürfen!«
»Möchtest du denn schwimmen lernen, Yvette?«, fragte John.
»Ja! O ja!«
»Also gut. Dann ziehe Schuhe und Strümpfe aus und auch das Kleid. Die Unterwäsche kannst du anbehalten.«
»Meinst du das ernst?« Yvette wartete nicht lange und stand kurz darauf nur in Unterwäsche auf der Decke. »Na los, komm schon!«, rief sie ungeduldig und rannte los.
»Yvette!« Charmaine ging der Spaß zu weit. »Komm zurück, Yvette. Du ruinierst deine Sachen und …«
»Wen stört das? Wir sind doch reich. Außerdem habe ich jede Menge Unterwäsche im Schrank!« Sie stand schon bis zu den Knien in der Brandung und quietschte, als die Wellen um ihre Beine schwappten. Sie ging noch einen Schritt weiter, woraufhin Charmaine unruhig wurde und aufstehen wollte.
Aber John hielt sie auf. »Lassen Sie sie«, mahnte er leise.
Charmaine hob den Kopf und riss die Augen auf. John war bereits aus dem Hemd geschlüpft und zog gerade die Stiefel aus. »Ist das Ihr Ernst?«
»Aber ja. Yvette geschieht nichts. Sie weiß genau, wie weit sie gehen kann.«
Er warf die Stiefel auf
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