Der Fluß
müssen weiter zu einer Hausmusik«, sagt sie. »Noch ein Pianist. Noch eine Interpretation der ›Waldsteinsonate‹. Aber so ist es, wenn man studiert. Danke für den Wein. War nett, dich getroffen zu haben.« Sie wirft mir einen leidenschaftlichen Blick zu. »Ich bin nicht in Oslo, wenn du debütierst, Aksel, aber ich wünsche dir alles Gute.«
»Wird er es schaffen?« fragt Marianne aufrichtig.
»Aksel ist der Größte«, sagt Margrethe Irene. »Mach dir bloß keine Sorgen.« Sie umarmt uns beide und schiebt dann Carlos vor sich her weiter in Richtung Stephansplatz.
»Wie konntest du ihr bloß den Laufpaß geben?« fragt Marianne kopfschüttelnd, kaum daß sie um die Ecke verschwunden sind.
»Margrethe Irene?«
»Ja. Sie ist jung. Sie ist schön. Sie ist intelligent. Und sie liebt dich. Hast du nicht die Blicke bemerkt, die sie dir zugeworfen hat?«
»Nein«, sage ich aufrichtig.
Sie schaut mich besorgt an, fast erzürnt. »Manchmal weiß ich nicht, ob du ganz richtig im Kopf bist«, sagt sie.
»Vielleicht habe ich nie begriffen, wer sie eigentlich ist«, murmele ich.
Marianne nickt. »Na, das kann jedem passieren«, sagt sie. Ich merke, daß sie nachdenklich wird.
Hochzeit im April
Das Wochenende nähert sich. Wir sind erschöpft. Ich habe am Vormittag vor ProfessorSeidlhofer gespielt. Er hat wieder mit Tinte in meine Noten geschrieben. Am Nachmittag sind wir im Bett gelegen und nicht voneinander losgekommen.
Am besten sind unsere Gespräche danach. Dann liegen wir in verknüllten Laken und rauchen beide. Sie dreht immer noch selbst. Ich rauche irgend etwas mit Filter. Dann reden wir über alles, was uns einfällt. Dann erzählt sie von der Kindheit mit Sigrun, wie sie sich stritten und an den Haaren zogen. Dann erzähle ich von Margrethe Irene, wie sie mir alles über Sex beigebracht hat. Wie ich sie nicht ausstehen konnte. Wie es dann doch passiert ist. Daß es unangenehm war, sie wiederzutreffen.
»Du warst unfreundlich zu ihr«, sagt sie streng. »Solche Männer wollen wir nicht haben. Du solltest ihr für dein ganzes Leben lang dankbar sein. Egal, ob es dir bewußt ist oder nicht, sie war deine erste Liebe.«
»Ich schäme mich«, sage ich aufrichtig.
»Komm zu mir«, sagt sie und greift nach mir. »Hör jetzt auf mit dem Quatsch.«
An unserem Hochzeitstag stehen wir spät auf, bestellen das Frühstück aufs Zimmer. Die Trauung findet um ein Uhr statt. Sie ist nicht angespannt, wie ich befürchtete. Als sie ins Bad geht, sagt sie nur: »Laß mir etwas Zeit.«
Als sie nach einer Stunde wieder herauskommt, hat sie das Brautkleid an. Es ist schwarz, elegant und etwas traurig, aber das kann ich ihr nicht sagen.
»Wie schön du bist«, sage ich.
»Ich dachte, wir sollten beide Schwarz tragen«, sagt sie.
Ich möchte mir die neu erworbene Krawatte von Cerutti umbinden, aber sie sagt: »Tu es nicht, mein Junge. Mit Krawatte siehst du nicht gut aus.«
Wir gehen durch den Stadtpark zur Botschaft. Die Sonne scheint, aber plötzlich wird es kühler und Wolken ziehen auf.In der Botschaft werden wir freundlich empfangen. Die Standesbeamtin, die sich als Fräulein Biong vorstellt, ist eine ältere Dame mit dunklem Haar und Locken. Sie sieht aus, als wäre sie schon in sämtlichen Auslandsstellen der Welt gewesen. Das verleiht ihr Autorität, und ich bin froh, daß sie die Trauung durchführt. Die Botschaft hat Trauzeugen besorgt, zwei Botschaftssekretäre um die Vierzig, Frau Reimers und Herrn Pahlstrøm. Das ist nur eine Formalität. Sie haben das schon oft gemacht. Ein Dienst für romantische Landsleute, die sich während des Neujahrskonzertes zu Hause vor dem Fernseher verlobt haben und einen schönen Rahmen für ihre Hochzeit wünschen. Heute sind Marianne und ich an der Reihe. Wir haben uns bei einem Goldschmied in der Kärntnerstraße Ringe machen lassen. Ich habe gefragt, ob sie einen Blumenstrauß möchte, was sie abgelehnt hat. »Den mitzuschleppen ist unpraktisch. Wir kaufen uns dafür lieber Champagner.«
Wir werden in einen großen, schönen Raum geführt, wo die Trauung stattfinden soll. Wir stellen uns nebeneinander, vor uns stehen Fräulein Biong, Frau Reimers und Herr Pahlstrøm. Weder Marianne noch ich sind feierlich veranlagt, aber ich merke, daß meine Beine zittern, daß ich zugleich nervös und glücklich bin, mit einem Gefühl von Unwirklichkeit, daß es nun wirklich passiert, daß sie mich ernst genommen hat, daß sie mich heiraten will. Ich denke an Anja, ob ihr das
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