Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
Blick blieb an einem eingestickten Namen oberhalb seiner Hemdtasche hängen. »Leroy« stand dort. »Der Toilettenschlüs sel?«, fragte sie.
    »Direkt neben Ihnen«, erwiderte der Mann. »Fehlt Ihnen was, Miss? Sie sehen aus wie der Speck von gestern, der überNacht in der Kasserolle geblieben ist. Kann ich Ihnen ein Kaltes bringen?«
    »Ein was?«
    »Eine Limo.« Er wies mit dem Kopf auf eine Kühlbox.
    »Äh, nein. Nein. Das heißt, eigentlich doch. Danke, Leroy.«
    »Ach, das Hemd gehört meinem Bruder. Der Taugenichts hat noch keinen Tag im Leben hart gearbeitet. Der Dreck ist von mir drangekommen. Ich heiße George. Cola?«
    »Das wäre nett.«
    Er reichte ihr die kalte Dose, und sie drückte sie sich an die Stirn. Er lächelte. »Das mach ich auch immer, wenn die Hitze zu doll wird. Geht einem direkt in den Schädel. Eine Bierflasche wirkt allerdings noch besser.«
    Sie lächelte. »Was bin ich Ihnen schuldig?« Im selben Moment bekam sie fast keine Luft. Sie hatte kein Geld. Sie drehte sich um und suchte Jeffers.
    »Ach was, die spendier ich Ihnen. Wann krieg ich schon mal die Gelegenheit, ’nem hübschen Mädel was auszugeben? Außerdem mach ich den jungen Burschen da eifersüchtig.« Er lachte, und sie fiel ein. Vor Erleichterung platzte die Luft förmlich aus ihr heraus.
    »Weiß ich zu schätzen, danke.« Sie steckte die Dose in ihre Handtasche.
    »Gern geschehen. Wo soll’s denn hingehen?«
    Wieder schluckte sie. Wohin?, fragte sie sich. Was soll ich am besten sagen?
    »Louisiana«, antwortete sie. »Nur für’n paar Tage Urlaub.«
    »Richtige Jahreszeit«, meinte der Tankwart. »Wenn auch ein kleines bisschen zu warm. Bei uns kommen ’ne Menge Leute auf der Durchreise vorbei. Die sollten lieber hierbleiben. Wir ham’n richtig schönen Sandstrand. Und gute Plätze zum Angeln, nur nicht so berühmt wie ’n paar andere Stellen. Das istdas Problem. Heutzutage läuft alles auf Publicity hinaus. Man muss es unters Volk bringen, nur so funktioniert das.«
    »Unters Volk bringen«, pflichtete sie bei. »Das stimmt.«
    »Muss allerdings auch drauf achten, was.«
    »Sicher.«
    »Zum Beispiel hier die Tankstelle«, fuhr der Mann fort. »Der Junge ist ’n richtig guter Mechaniker. Besser als sein Alter, so viel steht fest, auch wenn ich ihm das nicht sage. Setz ihm doch keine Flausen in den Kopf. Hab aber auch keine Möglichkeit, das unters Volk zu bringen. Am Ende bringen sie ihre dicken Schlitten zu den teuren Läden beim Einkaufszentrum, obwohl wir verdammt noch mal sauberere Arbeit fürs halbe Geld abliefern würden.«
    »Davon bin ich überzeugt.«
    Er lachte. »Geht’s schon besser?«
    »Ja«, antwortete sie.
    »Man muss es unter die Leute bringen. Egal, was Sie im Leben machen, ob Sie nun Autos reparieren oder Burger verkaufen oder zum Mond fliegen oder weiß der Himmel was. In diesem Land geht nix ohne Publicity. Wirklich, Ma’am. Sie müssen den Leuten sagen, was Sie zu bieten haben und was die anderen kriegen. Sie müssen es einfach weitersagen.«
    Er reichte ihr den Toilettenschlüssel.
    »Hab heute früh erst saubergemacht. Frische Seife und Handtücher innen an der Tür. Wenn Sie noch was brauchen, rufen Sie.«
    Sie nickte und machte Anstalten zu gehen. Sie drehte sich um und zeigte mit einer fragenden Geste auf eine Tür, und er winkte sie um die Ecke.
    Es war kühl in der Toilette, auch wenn die Luft alt und abgestanden war. Sie benutzte rasch das Klo und trat ans Waschbecken, um sich Wasser ins Gesicht zu spritzen. Sie schaute inden Spiegel und stellte fest, dass sie abgespannt und blass aussah. Ich hab diese Szene schon hundertmal gesehen, überlegte sie und nahm die Seife zur Hand. Gibt es in jedem Fernsehfilm. Sie dachte an Jimmy Cagney und Edmond O’Brien. »Sprung in den Tod«, sagte sie laut. Er schreibt an der Tankstelle etwas an den Spiegel. Sie dachte an Jeffers und stellte sich vor, dass er den Text sprach: »Hab’s geschafft, Ma! Ganz nach oben!« Sie schrieb das Wort HILFE auf den Spiegel. Dann ICH WURDE … was? Sie wischte es weg. Ihr war heiß, und ihre Hand zitterte. Muss es unters Volk bringen, ahmte sie in Gedanken den Akzent des Alten nach. RUFEN SIE DIE POLIZEI! schmierte sie hin und wischte auch das wieder weg, als sie merkte, dass sie es zu schnell und unleserlich geschrieben hatte. Und sagen Sie denen was?
    Ihr wurde übel, und sie musste sich am Beckenrand festhalten. Sie betrachtete ihre Hände und flehte sie um Rat an, als gehörten sie nicht zu ihrem Körper.

Weitere Kostenlose Bücher