Der Fotograf
analysieren. Eigentlich, dachte er, ist es kindisch, die Polizistin abzuhängen. Das war ihm klar, doch er wollte erst einmal verdauen, was er erfahren hatte, und zwar in selbstgewählter Einsamkeit. Er fuhr Richtung Klinik zurück und versuchte, seine Erkenntnisse in Schubfächer einzuordnen.
Er wusste, dass ihm niemand mehr folgte. Die Innenstadt von Trenton ist ein Labyrinth an Straßen und Baustellen, schon für den Ortskundigen eine Herausforderung, für einen Fremden dagegen hoffnungslos. Miami, vermutete er, besteht wahrscheinlich vorwiegend aus Boulevards und breiten, palmengesäumten Durchgangsstraßen und nicht aus diesem Knäuel einer alten Stadt im nördlichen Osten, die sich ans Leben und an den Lebensunterhalt klammert. Er sah im Geiste vor sich,wie die kühle, seidene Gestalt der Polizistin in dem Chaos aus Autos, Bussen und Straßenarbeitern unterging. Er fragte sich, wieso es ihn nicht allzu sehr amüsierte.
Gleichzeitig konnte er immer noch nicht das Gefühl einer bösen Ahnung abschütteln, das ihn beharrlicher verfolgte als die Frau. Die nun allerdings – mit einer gewaltigen Wut im Bauch, den Blick stur geradeaus – kaum hundert Meter hinter ihm fuhr.
Um fünf nach fünf klopfte Detective Mercedes Barren an die Tür von Dr. Martin Jeffers’ Büro. Er machte ihr sofort auf und bot ihr in dem beengten Raum einen Stuhl an. Sie setzte sich, stellte ihre Handtasche auf dem Boden ab und behielt eine kleine Aktenmappe auf dem Schoß. Sie sah sich rasch im Zimmer um und erfasste mit einem einzigen Blick die Bücherreihen, die Stapel mit Papieren, den kümmerlichen Versuch, den Raum mit zwei gerahmten Fotos zu schmücken. Lass dich nicht von dem Durcheinander täuschen, sagte sie sich im Stillen; wahrscheinlich ist der so gut organisiert wie sein Bruder.
Jeffers kaute am Ende seines Bleistifts, bevor er das Gespräch eröffnete.
»Also, Detective, Sie haben den weiten Weg von Miami hierher gemacht, und ich bin mir immer noch nicht im Klaren, weshalb Sie so dringend meinen Bruder sehen müssen.«
Sie zögerte nur einen Moment, bevor sie antwortete: »Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, ist er ein unverzichtbarer Zeuge bei einer Mordermittlung.«
»Könnten Sie mir erklären, inwiefern?«
»Haben Sie sich heute schon mit ihm in Verbindung gesetzt?«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
»Beantworten Sie zuerst meine. Doktor, Ihre Ausweichmanöver sind ärgerlich. Ich bin Polizistin und ermittle in einem Mordfall. Ich muss nicht alles erklären, um auf Ihrer Kooperation zu bestehen. Wenn nötig, kann ich mich an Ihre Vorgesetzten wenden.«
Das war ein Bluff, das wusste er natürlich ebenso gut wie sie. »Und wenn ich nun sage, tun Sie, was Sie für richtig halten?«
»Dann würde ich genau das tun.«
Er nickte. »Das glaube ich Ihnen gern.«
Sie lehnte sich mit einem Ruck vor. »Haben Sie heute schon mit ihm gesprochen?«
»Nein.«
Sie überlegte.
»Das ist eine ehrliche Antwort«, fuhr er fort. »Ich hatte heute keinen Kontakt mit ihm.«
»Das nehme ich Ihnen nicht ab.«
Er zuckte die Achseln. »Glauben Sie, was Sie wollen.«
Wieder herrschte Schweigen zwischen ihnen.
»Na schön«, gab sie nach einer Weile nach. »Ich glaube, Ihr Bruder verfügt über Informationen zu einem Mord. Das hatte ich Ihnen bereits gesagt. Inwieweit er darin verwickelt ist, kann ich noch nicht sagen. Deshalb möchte ich mit ihm persönlich reden.«
»Wird er verdächtigt?«
»Wieso fragen Sie?«
»Detective Barren, wenn Sie wollen, dass ich auch nur eine Ihrer Fragen beantworte, dann sollten Sie besser auch ein paar von meinen beantworten.«
Ihre Gedanken überschlugen sich bei dem Versuch, kleine Lügen von großen zu scheiden und einen Kurs einzuschlagen, bei dem sie gerade so viel verriet wie nötig, um ihn zu einer Zusammenarbeit zu bewegen. »Das kann ich derzeit nochnicht sagen. Ein Beweisstück, das wir bis zu ihm zurückverfolgen konnten, wurde in der Nähe des Leichenfundorts sichergestellt. Er könnte nach allem, was wir wissen, dafür eine plausible Erklärung haben. Vielleicht aber auch nicht. Um das herauszufinden, bin ich hier.«
Martin Jeffers nickte. Er versuchte, einzuschätzen, ob sie wenigstens teilweise die Wahrheit sagte. Sexualstraftäter sind leichter in den Griff zu bekommen, dachte er sarkastisch.
»Was für ein Beweisstück?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nun gut«, meinte er. »Bei dem Verbrechen handelt es sich um …«
»Mord.«
»Und was genau haben Sie mit
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