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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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dem Fall zu tun …«
    »Ich bin bei der Kripo …«
    Er zog eine der Fotokopien von Susans Nachruf aus der Tasche und schob sie über den Tisch. Seine Stimme war vor Abneigung schroff. »Ich hasse Lügen, Detective. Meine ganze berufliche Laufbahn, mein ganzes Leben dient letztlich der Wahrheitsfindung in einem ganz fundamentalen Sinne. Sie beleidigen mich, wenn Sie hier hereinschneien und mich belügen.«
    Er glaubte, dass er sich überzeugend aufgeplustert hatte. Auf ihre Reaktion war er jedoch nicht gefasst. Er hatte mit einem von zwei Extremen gerechnet – entweder eingeknickt oder erbost. Keins von beidem traf zu.
    »Ich beleidige Sie?«, fragte sie beängstigend leise. Sie wartete keine Antwort ab, bevor sie fortfuhr. »Und jetzt besitzen Sie die Dreistigkeit, mir Vorträge über Wahrheitsliebe zu halten, während Sie selbstgefällig dasitzen und Ihre Spielchen mit mir treiben, damit ich Ihren Bruder nicht befragen kann? Na schön. Dann sagen Sie mir zuerst, dass Ihr Bruder dazu nicht fähig wäre.«
    Sie suchte einen Moment in ihrer Mappe und zog eines der Ermittlungsfotos von der Leiche heraus, das sie ihm wortlos hinwarf.
    Er schob es zurück, ohne es sich anzusehen.
    »Versuchen Sie nicht, mich zu schockieren«, gab er zurück.
    »Das tue ich nicht.«
    In dem Augenblick wurde ihm bewusst, dass jedes ihrer Worte so viel Nachdruck besaß wie ein Schrei, ohne dass sie auch nur die Stimme erhob. Er nahm das Bild zur Hand und starrte darauf.
    »Es tut mir leid für Sie«, erklärte er.
    Doch seine Phantasie stürzte in einen haltlosen Abgrund der Angst. Das Bild erinnerte ihn an die Wucht einer Radierung von Goya, in der jeder Schatten blankes Entsetzen, jede Linie Qual zum Ausdruck bringt. Er sah, dass die Tote brutal zugerichtet war. Er dachte daran, wie er damals als Student seine erste Leiche vor sich hatte. Er hatte mit jemand – etwas – Altem, Verbrauchtem, von Krankheit und Verfall Gezeichnetem gerechnet. Doch seine erste Tote war eine sechzehnjährige Prostituierte gewesen, die in einer unseligen Nacht an einer Überdosis Drogen gestorben war. Er hatte dem Mädchen in die toten Augen gesehen und sie nicht anrühren können. Ihm hatten die Hände gezittert und die Stimme gebebt. Einen Moment lang hatte er gefürchtet, in Ohnmacht zu fallen. Er hatte sich abgewendet, sich Luft in die Lungen gepumpt und gekeucht. Es hatte ihn eine übermenschliche Willensanstrengung gekostet, zu seinem Anatomieprofessor zu gehen und ihn um einen Tausch zu bitten. Er erinnerte sich, wie er mit einem anderen Studenten wechselte. Einem widerlichen Kerl, der nur »Hübsche Titten« sagte, während er das Skalpell ansetzte. Jeffers sah bis heute die Leiche des älteren Alkoholikers vor sich, den er als Ersatz bekam und den er hätteumarmen können, bevor er dem Mann sein eigenes Messer an die unbehaarte Brust setzte, so dankbar war er der knochendürren Gestalt dafür, ihn von seinen Schrecken zu erlösen.
    Er starrte wieder auf das Bild und dachte an das Mädchen auf dem Seziertisch.
    »Ich könnte so etwas niemals tun«, erklärte er leise.
    Er brauchte einen Moment, bis er merkte, was ihm herausgerutscht war.
    Sie registrierte es sofort. Heiß durchfuhr es sie. Sie erlegte sich noch mehr Selbstkontrolle auf.
    Detective Barren wartete, bis die Stille fast unerträglich wurde, erst dann erlöste sie ihn mit einer schlichten Frage: »Aber wie steht es mit Ihrem Bruder?«
    Jeffers hatte das Gefühl, als drehten sich ihm sämtliche Eingeweide um.
    Nur mit großer Mühe riss er sich zusammen und flüchtete sich in seinen besten Oberarztton.
    »Ich glaube nicht, dass mein Bruder zu so etwas fähig ist, Detective. Ich glaube nicht. Wir reden hier von abscheulicher, verwerflicher Brutalität. Es ist eine Beleidigung, dass Sie auch nur fragen.«
    Detective Barren starrte ihn an.
    »Wirklich?«, hakte sie sanft nach.
    Er schnaubte verächtlich, doch wenig überzeugend und winkte mit einer schwachen Handbewegung ab.
    »Nehmen wir doch einmal nur für dieses Gespräch an …«
    Er fiel ihr ins Wort.
    »Wir nehmen gar nichts an, Detective. Ich spiele nicht gern mit Hypothesen. Mein Bruder ist ein preisgekrönter Fotograf. Er ist einer der gefragtesten freiberuflichen Fotojournalisten, die wir heute haben. Er ist Künstler. Im wahren Sinne des Wortes, Detective. Künstler.«
    »Ich habe Sie nicht nach seiner beruflichen Qualifikation gefragt.«
    »Nein, das ist richtig. Haben Sie nicht.«
    Er zögerte, bevor er hinzufügte: »Es ist

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