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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Drang aufzuspringen und zu schreien. Stattdessen verharrte er auf seinem Platz und suchte das Auditorium ab nach jemandem, der auch nicht über das Bonmot des Dozenten lachen konnte.
    Eine Studentin erregte seine Aufmerksamkeit.
    Sie saß nicht weit von ihm zu seiner Linken. Sie hob ihre Hand.
    »Ja, Miss … äh …«
    »Hampton«, sagte die junge Frau.
    »Miss Hampton. Sie haben eine Frage?«
    »Wollten Sie damit sagen, dass Dickens, weil er Fortsetzungsromane schrieb, seine Ideen und seinen Stil an die Veröffentlichungsform der Zeitung anpasste? Denken Sie nicht, dass Dickens es intuitiv verstand, die Themen so zu gestalten, wie er es wollte, und dass er seine beachtlichen Fähigkeiten nutzte, um sie in handhabbare Abschnitte einzupassen?«
    Jeffers fühlte, dass sein Herz bedächtig schlug, sein Verstand war hochkonzentriert.
    »Nun, Miss Hampton, wir wissen, dass die Form für Dickens wichtig war …«
    »Die Form wichtiger als der Inhalt, Sir?«
    Jeffers notierte in Großbuchstaben: FORM ÜBER INHALT und unterstrich die Worte.
    »Miss Hampton, Sie missverstehen …«
    Blödsinn, dachte Jeffers.
    »… Dickens ging es natürlich um den politischen und sozialen Einfluss seines Werks. Aber wir sehen heute auch, dass die Zwänge der Form ihn einschränkten. Haben Sie sich nie gefragt, wie seine Geschichten und Charaktere hätten sein können, wenn er nicht in die Rolle eines Zeitungsschreibers gedrängt gewesen wäre?«
    »Nein, Sir, das kann ich nicht von mir behaupten.«
    »Darum ging es mir, Miss, äh, Hampton.«
    Und um nicht mehr, dachte Jeffers.
    Er sah, wie die junge Frau sich wieder über ihren Schreibblock beugte und rasch etwas notierte. Sie hatte dunkelblondes Haar, das ohne rechten Schnitt in ihr Gesicht fiel undetwas verbarg, worin Jeffers eine bemerkenswerte natürliche Schönheit erkannte. Er bemerkte, dass sie allein saß, je ein freier Stuhl zu ihrer Rechten und Linken.
    Er spürte, wie sein Körper unkontrollierbar zuckte.
    Er holte tief Luft und atmete langsam aus.
    Noch einmal zog er eine große Menge Luft ein und ließ sie vorsichtig seinen Lungen entweichen, als wäre sie zerbrechlich. Verstohlen legte er die Hand auf seine Brust und sprach lautlos mit sich selbst: Bleib ruhig. Du hast nicht erwartet, deine Biographin gleich im ersten Seminar zu entdecken. Vorsicht, Vorsicht. Immer vorsichtig. Sie hat Potenzial. Warte. Beobachte sie. Er zwang sich selbst, den Blick auf die beiden anderen Frauen zu lenken, die ihm zuvor aufgefallen waren. In einem plötzlichen inneren Bild sah er sich selbst als kleine, dunkle, gewundene Kreatur, wartend, erwartend, aufgerollt in der Dunkelheit neben einem vereinzelten Felsen an einem vielgenutzten Weg. Er lächelte und dachte mit Behagen: Fortschritt.

3. KAPITEL
Boswell
     
5.
    Sonnenschein drang durch die Fenster der Bibliothek. Er fiel auf das Notizbuch, das Anne Hampton auf ihrem Tisch aufgeschlagen hatte, so dass die blaue Linierung im blendenden Licht schmolz. Sie starrte so lange auf die Worte, die sie zu Papier gebracht hatte, dass die Buchstaben verschwammen und schließlich die ganze Seite nur noch ein helles Viereck war. Es erinnerte sie an Schneefelder im Winter daheim in Colorado. Sie sah sich im Geiste am oberen Ende einer langen Piste, die, von Skispuren noch unberührt, in der Sonne glitzerte. Es war früh am Morgen, die Sonne versprach keinerlei Wärme – nur ein kaltes Licht, das die weiße Fläche überflutete. Sie dachte daran, wie die schillernde Widerspiegelung in die Höhe zu wachsen schien und sich spürbar mit der eisigen Luft vereinte – eine Welt ohne Konturen, Tiefe oder Höhe, ein einsames, gähnendes weißes Loch. Es wartete nur darauf, dass sie ihr kurzes Zögern am Rande der Angst überwand und vorwärtsstürzte, dass sie eine Fontäne Pulverschnee aufpflügte, die wie spitze Nadeln auf ihr niederging.
    Sie lachte auf. Als ihr schlagartig bewusst wurde, wo sie war, schlug sie in gespielter Verlegenheit die Hände vor den Mund, reckte sich auf ihrem Stuhl und blickte durchs Fenster überdie quadratische Rasenfläche bis zu den Palmen hinunter, die unter ihren Augen leicht wogten. Die Palmen, dachte sie, finden selbst dort ein zartes Lüftchen, wo keines ist. Vom kleinsten Windhauch rascheln sie genüsslich mit ihren Wedeln, während sie selbst von der gnadenlosen Sommerhitze nicht die geringste Abkühlung fand.
    Sie wandte sich wieder den Büchern zu, die sie auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Die Literaturstudenten erkennt man

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