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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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jeden Zweifel wissen. Dazu musst du begreifen, wie viel Macht ich über dich habe. Du musst wissen, wie nahe du dem Tode bist.«
    Er stand auf und löste ihre Hände vom Bettgestell, um sie vor ihrem Körper zusammenzubinden.
    »Ich muss kurz weg. Ich bin gleich wieder da. Ich muss dich wohl nicht daran erinnern, was ich von dir erwarte.«
    Er ging Richtung Tür.
    »Bitte«, flehte sie. »Lassen Sie mich nicht allein.« Sie traute ihren Ohren nicht. War das wirklich sie, die sprach?
    »Ich brauche nicht lang«, beruhigte er sie. »Dir passiert nichts.«
    Sie rief noch einmal hinter ihm her, als er durch die Tür verschwand. Einen Moment lang sah sie draußen Dunkelheit und dachte: Es muss noch Nacht sein.
    Als sie allein im Zimmer war, sah sie sich um. Alles war wie zuvor, doch in Abwesenheit des Mannes machte es ihr plötzlich Angst. Sie zitterte. Das ist verrückt, dachte sie.
Er
tut dir diese Dinge an. Dann wurde ihr bewusst, dass er die Tür nicht abgeschlossen hatte, und sie bekam noch mehr Angst. Jeder kann hier einbrechen und mich finden. Sie fürchtete auf einmal, jemand könnte hereinkommen und sie vergewaltigen; das würde nichts ändern, es würde den Mann lediglich wütend machen; sie wäre für ihn wie verdorbene Ware, und er würde sie wegwerfen wie ein Stück Müll. Sie kämpfte mit widerstreitenden Gefühlen. Die eine Stimme in ihr schrie, wie verdreht diese Befürchtungen waren.
Er
ist derjenige! Schnapp dir die Pistole! Töte ihn! Das ist deine Chance! Doch sie rührte sich nicht vom Fleck.
    Befreie dich aus den Fesseln! Lauf weg!
    Und wohin?
    Wo bin ich? Wo könnte ich hin?
    Er wird mich töten, dachte sie. Er wartet direkt hinter der Tür. Ich komm keine drei Meter weit.
    Doch, lauf weg! Nein, tu’s nicht!
    Sie weinte still und versuchte, ans College zu denken, an ihre Familie, ihre Freunde, ihr Leben. Doch das alles schien flüchtig und erschreckend weit weg. Das einzig Reale, dachte sie, ist dieses Zimmer.
    Sie versuchte, sich zu trösten, und merkte, wie sie leise ein Liedchen aus ihrer Kindheit sang: »Lavendel ist blau, tirili, tirili, Lavendel ist grün; wenn ich König bin, tirili, tirili, dann bist du Königin …« Sie erinnerte sich, wie sie das ihrem kleinen Bruder vorgesungen hatte und er darüber eingeschlafenwar. Sie merkte, wie weitere Tränen in ihr aufstiegen. Aber er ist tot, dachte sie. O Gott, er ist gestorben.
    Sie legte den Kopf ins Kissen und wartete auf die Rückkehr des Mannes. Sie versuchte, die Gedanken zur Ruhe zu bringen, doch ihre Ängste waren nicht im Zaum zu halten. Sie merkte, dass sie das Gefühl für die Zeit verlor, als hätte der Mann ihr die Fähigkeit genommen, abzuschätzen, wie die Minuten und Stunden verstrichen. War er seit einer Stunde weg? Oder seit fünf Minuten? Die Stille erfasste alles um sie herum, die Dunkelheit war böse und bedrohlich. Sie zwang sich, auf das Geräusch seiner Schritte zu horchen, doch die pechschwarze Nacht, in die sich das Zimmer hüllte, gab keinerlei Laute preis. Sie hob die Hände und legte sie auf die zusammengekniffenen Augen, um sich wenigstens in ihre eigene Dunkelheit zurückzuziehen und dort irgendetwas zu finden, an das sie sich klammern konnte. Wieder versuchte sie, an etwas Geringfügiges, Gewöhnliches und Vertrautes zu denken, irgendeinen Gegenstand, den sie besaß und der bewies, dass sie existierte, eine Erinnerung, die ihre Vergangenheit aufleben ließ, etwas Handgreifliches, das ihr die Kraft gab, um ihre Zukunft zu kämpfen. Sie dachte an ihre Eltern zu Hause in Colorado, doch sie erschienen ihr plötzlich wie Gespenster. Sie konzentrierte sich mit aller Macht auf das Gesicht ihrer Mutter; im Geist setzte sie wie ein Künstler ihr Porträt zusammen. Sie malte die Augen, den Mund, das Lächeln, das ihr so vertraut sein sollte. Dann fragte sie sich, ob die Erinnerung vielleicht nichts weiter als ein Traum war, und sie schlug vorsichtig die Augen auf.
    Sie zuckte heftig zusammen.
    Der Mann beugte sich über sie.
    »Ich habe Sie nicht reinkommen hören«, entfuhr es ihr.
    Sein Gesicht wirkte hart. Eine Weile starrte er sie einfach nuran. »Das hier ist jetzt die Realität«, erklärte er. Dann schlug er fest mit der flachen Hand zu. »Glaubst du es jetzt?«
    »Ja, bitte«, flehte sie.
    Er schlug wieder zu. Der Schmerz hüllte ihren ganzen Körper wie in eine düstere Wolke.
    »Willst du am Leben bleiben?«
    Er schlug sie wieder. Sie nickte vehement.
    »Ich glaube dir nicht«, herrschte er.
    Er schlug ein

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