Der Frauenhaendler
Foto von Lucio mit seinen Kumpels von der imaginären Band. An diesem Punkt muss man sich fragen, ob es diese Musiker, die sich Les Misérables nannten, je gegeben hat. Ich nehme die Fotos und betrachte die Gestalten, die auf das matte Papier gebannt sind. Nicht um es noch einmal zu kontrollieren, denn das muss ich nicht, sondern zur Bestätigung, dass sämtliche Listen, selbst die unscheinbarsten, sich irgendwie auszahlen. Durch eine Rückkehr nach zwanzig-jähriger Reise heim nach Ithaka zum Beispiel.
Oder durch zwanzig Jahre Knast.
Ich werfe die bunten Rechtecke auf den Tisch, neben dem er steht.
»Die Fotos, die du mir gezeigt hast. Die aus der Zeit, als du in der Band gespielt hast und deine Augen angeblich schon hinüber waren.«
Instinktiv zeige ich mit dem Finger darauf.
»Du hast rote Augen. Und wenn man auf Fotos einen roten Punkt in den Augen hat, deutet das darauf hin, dass alles in Ordnung ist mit den Augen. Stell dir vor, die Lösung habe ich – Ironie des Schicksals – ausgerechnet in einer Rätselzeitschrift gefunden.«
Lucio steht eine Weile in Gedanken versunken da.
Dann lächelt er.
Schließlich nimmt er mit einer resignierten Geste die Brille ab und enthüllt den entsetzlichen Anblick seiner mit einem weißen Schleier bedeckten Pupillen. Er führt die gewölbte Hand ans Auge und lässt die erste Kontaktlinse hineinfallen. Das Gleiche tut er mit dem anderen Auge. Nun blinzelt er ein paar Mal, befreit. Die winzigen Hilfsmittel, die ihm über so lange Zeit hinweg Schutz gewährt haben, legt er auf den Tisch.
Als würden unsere Bewegungen von einem zweckmäßig eingerichteten Schicksal synchronisiert, greife ich zum Gürtel und ziehe die Pistole, die ich wieder mit dem Schalldämpfer versehen habe.
Vielleicht erkennt Lucio sie deswegen sofort. Und begreift, dass ich im Zweifelsfall auch geneigt wäre, sie zu benutzen.
»Ah, du hast sie also gefunden.«
Das sagt er ruhig, ohne jede Angst, eine schlichte Feststellung. Und er verzieht auch keine Miene, als er die Mündung des Pistolenlaufs auf seinen Bauch gerichtet sieht. Er ist ein kaltblütiger Mensch. Mit einer anderen Reaktion hätte ich nicht rechnen dürfen.
»Richtig. Wie du siehst, habe ich sie gefunden.«
Er setzt sich und schlägt die Beine übereinander. Seine Bewegungen sind jetzt flüssiger, nachdem der ganze Zirkus vorbei ist. Nun kann er der Realität ins Auge schauen, ohne sich verstecken zu müssen.
»Wie bist du darauf gekommen?«
Ich zucke in aller Bescheidenheit mit den Achseln.
»Eine Reihe von Details. Kleine Nachlässigkeiten. Marginale Fehler, wenn man so will. In der Summe allerdings ein ziemlicher Patzer.«
»Nämlich?«
»Die Vertauschung der Wagen war eine geniale Idee. Es fehlte aber der Zigarettengeruch. Dabei hätte es in jeder Hinsicht mein Wagen sein müssen, der Wagen eines Rauchers. In diesem Moment war es, falls du mir das gestattest, eine geniale Idee meinerseits, die Fahrgestellnummer zu kontrollieren.«
Er gestattet es mir, indem er sich jeglichen Kommentars enthält. Seine Ironie, die der dialektische Panzer eines wehrlosen Mannes zu sein schien, hat sich in Nichts aufgelöst.
Vor mir sitzt eine harte, gefühlskalte, gnadenlose Person.
Ein Mörder.
»Mach weiter.«
»Fehler Nummer zwei. In dem Umschlag, den Daytona mir für die Übergabe anvertraut hat, war nur Zeitungspapier.«
Unvermittelt springt Lucio auf. Das angespannte Gesicht zeigt, dass er doch Nerven hat.
»Dieser Hühnerdieb war ein schmieriger, gieriger Idiot. In dem Umschlag sollte echtes Geld sein. Er hat es sich unter den Nagel gerissen und dachte, niemand würde es merken.«
Ich bedeute ihm mit dem Pistolenlauf, dass er sich wieder setzen soll. Als sein Hintern auf dem Stuhl landet, ist seine Ruhe zurückgekehrt.
»Du hast ihn umgebracht, nicht wahr?«
Die Ruhe wird zur natürlichen Haltung.
»Ja. Und zwar mit einem gewissen Vergnügen, wie ich zugeben muss. Dieses Stück Scheiße wurde zu einer Gefahr für alle anderen. So ist er es nur für sich selbst geworden.«
Das hatte ich mir gedacht. Ich hätte sofort begreifen müssen, dass das Cobianchi nichts mit der Sache zu tun hat. Der Arme lag im Sterben. Als ich ihn fragte, wer es gewesen sei, und als ich ihn fragte, wo Carla sei, war Cobianchi das einzige Wort, das er herausbekam. In Wahrheit wollte er sagen: bei dem mit den weißen Augen – con quello degli occhi bianchi .
Oder so ähnlich.
Wenn ich Lucio so über Daytona reden höre, werde ich wütend. Der
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