Der Frauenhaendler
trägt er einen falschen Schnäuzer in derselben Farbe. Der Gipfel an Wirklichkeitstreue ist das nicht, aber draußen ist es dunkel, und bei Nacht sind bekanntlich alle Katzen grau.
Er lächelt über meinen Gesichtsausdruck.
»In jedem Menschen steckt ein kleiner Schauspieler, meinst du nicht?«
Dann tritt er zur Garderobe und nimmt die Jacke und den Hut, die er für gewöhnlich trägt. Er wirft sie mir zu und nötigt mich, sie aufzufangen.
»Es vereinfacht die Sache, dass du dir die Haare abgeschnitten hast und den Bart stehen lässt. So sehen wir uns gar nicht so unähnlich, zumal wir mehr oder weniger die gleiche Figur haben. Die Polizisten draußen erwarten, einen blinden Musiker mit seinem üblichen Begleiter herauskommen zu sehen. Das ist genau das, was wir ihnen bieten, nur dass sich dieses Mal noch ein weiterer Fan hinzugesellt.«
Chico hat begriffen und lächelt. Er reicht die Pistole an Lucio weiter, der sie zu einem natürlichen Teil seiner Hand werden lässt.
»Ich fahre den Wagen vor die Tür. Dann komme ich wieder hoch und hole dich und die Gitarren ab.«
Als Chico hinausgeht, öffnet er die Tür nur so weit, dass er hindurchtreten kann. Nun will Giorgio Fieschi wissen, was er zu tun hat.
»Ich bin mit dem Motorrad da. Was mache ich?«
»Nachdem wir gegangen sind, wartest du eine Viertelstunde. Dann stößt du an bekannter Stelle wieder zu uns.«
Lucio besitzt die Sicherheit des Chefs und ist in der Lage, sie auf seine Männer zu übertragen. Ich bin überzeugt davon, dass dieser ganze Mummenschanz nicht nur Adrenalin in sein Blut pumpt, sondern ihm auch Spaß macht. Als er merkt, dass ich immer noch mitten im Raum stehe, die Kleidungsstücke in der Hand, wird er ungeduldig. Er zeigt mit der Pistole auf mich, genauso wie ich es getan habe, als ich ihn auffordern wollte, sich wieder zu setzen.
»Worauf wartest du? Mach dich fertig.«
Ich ziehe Lucios Jacke an und setze seinen Hut auf. Er geht zum Tisch, nimmt die Kontaktlinsen, mustert sie mit einem verhaltenen Lächeln und lässt sie in seiner Tasche verschwinden. Dann nimmt er die dunkle Brille und wirft sie mir zu. Ich setze sie auf und verliere ein wenig an Licht und Schärfe. Spiegel gibt es hier nicht, um das Ergebnis zu begutachten, aber ich bin mir sicher, dass die Regel von der Nacht und den Katzen nicht nur für Lucio, sondern auch für mich gilt.
Die Bestätigung erhalte ich ausgerechnet von ihm.
»Du bist perfekt. Leider habe ich keine Zeit, dir Gitarrenstunden zu geben, aber du wirst auch nicht spielen müssen.«
Der Wagen muss ziemlich in der Nähe gestanden haben, denn es sind nur wenige Minuten vergangen, als man ein Klopfen an der Tür hört. Giorgio geht hin und lässt Chico herein, nachdem er sich durch den Türspalt vergewissert hat, dass er es auch tatsächlich ist.
»Wir können gehen.«
Chico kommt und hakt mich unter, so dass ich zu seiner Linken gehe. Seine Stimme hat nichts mehr von der Güte, mit der er Lucio diesen Dienst erwiesen hat. Seine Gesten sind kräftig und grob. Die rechte Hand drückt mir den Pistolenlauf in die Seite.
»Geh ganz ruhig und mache kleine Schritte. Achte nicht darauf, wo du deine Füße hinsetzt, sondern schau geradeaus. Ich führe dich.«
Um dem Befehl Nachdruck zu verleihen, presst er mir brutal die Pistole zwischen die Rippen.
»Verstanden?«
Ich antworte mit einem Nicken.
Giorgio öffnet die Tür. Chico und ich gehen als Erste hinunter. Lucio folgt uns mit den Gitarren in der Hand und beschließt den Zug. Die Nacht ist sehr frisch, und draußen ist niemand. Dieser kleine Anflug von Winter verleidet den Menschen Aufenthalt und Unterhaltung im Freien. Das Auto, ein alter, weißer Opel Kadett, steht direkt vor der Glastür.
Eine Gitarre kommt in den Kofferraum, die andere auf den Rücksitz hinter dem Fahrer, neben Chico. Ich sitze auf dem Beifahrersitz. Eine Waffe bleibt stets diskret auf mich gerichtet. Kaum hat Lucio den Motor gestartet, spüre ich wieder den Lauf im Nacken.
Wir fahren los.
Problemlos lassen wir das Quartiere Tessera und die Überwacher mitsamt ihrer Gleichgültigkeit hinter uns. Ich frage mich, ob Lucio diesen Teil seines Lebens je wiederaufnehmen kann. Während er fährt, beobachte ich ihn neugierig, weil ich ihn zum ersten Mal etwas tun sehe, was ihm in meinen Augen immer verwehrt geblieben war.
Er würde sich wundern, wenn er wüsste, wie ähnlich wir uns sind. Wie viel Zeit wir beide damit verbracht haben, uns zu verstecken und so zu tun, als wären
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