Der Frauenhaendler
Bravo. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung in Cesano Boscone in der Via Fratelli Rosselli 4 wurde nichts gefunden, was ihn explizit mit umstürzlerischen Vorhaben in Verbindung bringen würde. Nicht einmal Fotos, auf denen sein Gesicht deutlich zu erkennen ist, konnten gefunden werden. Allerdings haben die Ermittler in einer bei der überstürzten Flucht zurückgelassenen Jacke eine goldene Uhr entdeckt. Der Besitzer konnte als Paolo Boccoli identifiziert werden, der eben wegen jener Uhr auch unter dem Namen Daytona bekannt ist. Boccoli wurde auf einem verlassenen Bauernhof an der Peripherie von San Donato Milanese tot aufgefunden, erstochen mit mehreren Messerstichen. Der gewaltsame Tod dieser prominenten Persönlichkeit der Mailänder Verbrecherwelt gesellt sich zu jenem von Salvatore Menno, einem weiteren einschlägig bekannten Kriminellen, der vor kurzem mit einer Waffe erschossen wurde, die auch beim Gemetzel in der Villa von Lorenzo Bonifaci zum Einsatz gekommen ist. Das alles lässt auf ihre Rolle als Anhänger …
Diese prominente Persönlichkeit der Mailänder Verbrecherwelt …
Mit einer gewissen Bitterkeit stelle ich fest, dass diese Bezeichnung Daytona einen Aufstieg machen lässt, den er im echten Leben nie geschafft hat. Ich lese weiter, aber der Artikel berichtet nichts Neues mehr, sondern beschränkt sich darauf, die Fakten noch einmal aufzuzählen, eine Rekonstruktion des Ablaufs der Morde zu versuchen, die Figuren der Opfer zu beleuchten und mit gelegentlichem Augenzwinkern darüber zu spekulieren, was die Anwesenheit der Frauen in der Villa zu bedeuten haben könnte.
Ich schlage die Zeitung zu, öffne ein Fenster und stecke mir eine Marlboro an.
Der Schweiß sammelt sich in meinen Achseln. Auf meiner Stirn sitzt er wie eine Dornenkrone.
Nie hätte ich gedacht, dass man mich so schnell und so gründlich in die Enge treiben würde. Alle meine guten und bösen Absichten sind kläglich gescheitert. Die Pistole, die ich trage, bietet keine Sicherheit mehr, sondern ist nur noch ein Objekt, das schmerzhaft gegen Gürtel und Hüfte drückt.
Ich beschließe, in Carmines Wohnung zurückzukehren und darauf zu hoffen, dass mich niemand erkennt. Zum wiederholten Male sage ich mir, dass sich die Leute in Quarto um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, aber das ist ein schwacher Trost, der sich mit dem Zigarettenqualm zum Fenster hinaus verflüchtigt.
Ich fahre los und behalte den Rückspiegel noch aufmerksamer im Blick. Unterdessen denke ich nach. Das Beste wäre, ich würde meinen Anwalt anrufen, Ugo Biondi, um mich in seiner Begleitung zu stellen und darauf zu hoffen, dass man mir meine Geschichte abkauft. Aber abgesehen davon, dass ich gar nicht wüsste, wo ich ihn auftreiben soll, gibt es noch etwas, das mich davor zurückschrecken lässt. Ich fürchte, die Polizei könnte diesen Schritt für einen Versuch halten, die Ermittlungen zu behindern und in dieser höchst verworrenen Geschichte noch mehr Verwirrung zu stiften.
In jedem Fall würde es an den Konsequenzen nichts ändern. Bis auf Weiteres wird die Sache als terroristischer Anschlag gewertet, und man würde mich als Hauptverdächtigen so lange festhalten, bis meine Unschuld bewiesen wäre.
Was vielleicht erst nach Monaten oder Jahren passieren würde. Vielleicht auch nie.
Ich erreiche die vertrauten Umrisse des Mietshauses, in dem mein Versteck liegt. Ich fahre durch das Tor und lasse den Wagen im Hof stehen. In den Grünanlagen laufen Leute herum, aber sie sind weit weg und kümmern sich nicht um mich. Als ich das Treppenhaus erreiche, fühle ich mich wie ein Invalide nach der Schlacht, obwohl ich nie gekämpft habe. Ohne jede Hoffnung steige ich in den Aufzug, den ich mit so siegesgewissem Stolz verlassen hatte.
Dieses Mal würdige ich die Sprüche keines Blicks.
Ich kehre in die Wohnung zurück und schließe die Tür im selben Moment, als im Hausflur das Geräusch einer sich öffnenden Tür widerhallt. Vielleicht eine Frau, die ihren Hund spazieren führt, vielleicht ein Kind, das zum Spielen hinuntergeht. Ich bin froh, dass ich es geschafft habe, die Schwelle zu überschreiten, ohne gesehen zu werden.
Die Wohnung, in der ich mich gezwungenermaßen wiederfinde, kommt mir jetzt noch kahler und dreckiger vor. Ich gehe ein paar Schritte, ziehe meine Jacke aus und setze mich auf ein Sofa, dessen Sitzfläche und Rückenlehne noch mit Plastikfolie bedeckt sind. Mein Rücken schmiegt sich an den provisorischen Bezug und wird mit Wellen
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