Der Frauenhaendler
hinreichend weit von Quarto Oggiaro entfernt. Sollte mich jemand sehen, würde er vielleicht denken, dass ich mich dort in der Nähe verstecke. All diese Überlegungen, all diese Vorsichtsmaßnahmen, zu denen ich gezwungen bin, all diese Rituale eines obsessiven Zwangscharakters machen mich allmählich wahnsinnig.
In gewisser Weise war ich das vielleicht auch vorher schon. Die Dinge, in die ich verwickelt bin, sind nichts als eine Linse, die alles vergrößert. Eine Linse mit integrierter Zielscheibe. Wie eine Marionette wurde ich gesteuert, wurde hierhin und dorthin geschoben wie eine Nippesfigur, wurde komplett verarscht, und das nicht zum Spaß, sondern um mich zu zerstören. Wie einen Backenzahn hat man mich aus meiner Gleichgültigkeit gegenüber der Welt und meinem Leben gerissen.
Jetzt, da ich das alles kapiert und akzeptiert habe, bin ich im Besitz einer Waffe und einer Mordswut. Und beschließe, die Sache bis zum Ende durchzuziehen. Wenn am Ende bereits das Grab für mich ausgehoben sein sollte, ist mir das scheißegal.
Jetzt möchte ich einen Namen wissen und ein Gesicht dazu sehen.
Was dann geschieht, ist ein Problem, das mich vorerst nicht interessiert.
Ich lasse den 124 auf dem Parkplatz stehen und gehe hinüber zur U-Bahn-Station, die von einem roten Schild mit der bekannten weißen Abkürzung angekündigt wird.
MM.
In der Vergangenheit waren diese beiden Buchstaben für uns Objekt fantasievoller Interpretationen. Daytona, Bistecca, der Godie, die Künstler des Clubs, alle haben sich daran beteiligt. Jetzt kann ich nur noch ein MIA MORTE – mein Tod – darin sehen.
Ich steige in den Untergrund hinab und sehe, dass es relativ leer ist. Umso besser. Als ich gerade zum Schalter gehen will, um die Fahrkarte zu kaufen, erstarre ich zur Salzsäule.
Nicht Sodom und Gomorrha in Flammen sind es, die ich sehe, sondern eine Sonderausgabe des »Giorno«, der auf der Titelseite ein Phantombild mit der entwaffnend präzisen Darstellung meiner Gesichtszüge trägt.
Die Schlagzeile in großen, fetten Buchstaben ist eindeutig.
WARNUNG VOR DIESEM MANN
Glücklicherweise habe ich auf dem Bild lange Haare und glatt rasierte Wangen, daher traue ich mich, zum Zeitungsverkäufer zu gehen und um ein Exemplar zu bitten. Außerdem frage ich nach der neuesten Ausgabe der »Settimana Enigmistica«. Der Mann hält mir beides hin, ohne mich auch nur anzuschauen. Nie war es mir so angenehm wie heute, dass die Menschen ihren Mitmenschen so wenig Aufmerksamkeit schenken.
Ich mache kehrt und gehe denselben Weg zurück, den ich gekommen bin.
Scheiße.
Das hat mir noch gefehlt. Ich hätte gedacht, ein bisschen mehr Vorsprung zu haben. Dass sie auf mich gekommen sind, überrascht mich nicht. Die Verantwortlichen dieser Machenschaften haben bewiesen, dass sie nicht dumm sind. Und auch die Polizei zieht ihre Schlüsse, vor allem wenn sie es mit Indizien zu tun hat, die so kunstvoll arrangiert wurden.
Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich tun soll.
Ins Zentrum zu fahren, wo an sämtlichen Zeitungskiosken ein gut getroffenes Bild von mir hängt, ist vielleicht nicht ratsam. Ich weiß nicht, an welchem Punkt die Ermittlungen angelangt sind, aber falls die Rolle des Cobianchi über irgendwelche Kanäle bekannt geworden sein sollte, scheint es mir keine glorreiche Idee zu sein, dort herumzuspazieren.
Das bisschen Licht, das mir aufgegangen war, ist wie das eines Kerzenstummels sofort wieder erloschen. Jetzt ist es von neuem stockfinster, und ich tappe im Dunkeln herum.
Ich beschließe, zum Auto zurückzukehren und den Artikel zu lesen.
Als ich die Tür öffne, schlägt mir eine Hitzewelle entgegen. Ich setze mich in den Wagen, ohne die Fenster zu öffnen, als wären die Scheiben ein Schutz gegen die Tücken der Welt um mich herum.
Ich fange an zu lesen. Gleichzeitig fange ich an zu schwitzen, aber das merke ich gar nicht.
Die Ermittlungen zu dem Vorfall, der mittlerweile allenthalben als das Massaker von Lesmo bezeichnet wird und zu dem sich die Roten Brigaden in einem Telefonat, dessen Authentizität noch geprüft wird, bekannt haben, scheinen an einem Wendepunkt angelangt zu sein – im Gegensatz zur Moro-Entführung, wo die Ermittler noch keine heiße Spur verfolgen. Das Verbrechen von Monza scheint auf eine bestimmte Person zurückzugehen, einen Mann mit einem Namen und einem Gesicht. Es handelt sich um den derzeit flüchtigen Francesco Marcona, in Mailänder kriminellen Kreisen besser bekannt unter dem Namen
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