Der Frauenhaendler
ich nicht gefragt.«
»Idiot. Ich bin der Freund eines Idioten.«
Lucio steht auf und streckt auf der Suche nach meinem Arm seine Hand aus. Er findet ihn und vertraut sich mir an.
»Es gibt nur zwei Möglichkeiten, wie du dich in meinen Augen rehabilitieren kannst.«
»Nämlich?«
»Indem du mir zwei neue schenkst, vor allem. Und zweitens, indem du mich zu diesem göttlichen Wesen bringst, damit ich es begrüßen kann.«
Manchmal ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass der Welt, wenn Lucio seine Sehkraft behalten hätte, seine großartige, bittere Ironie entgangen wäre. Unter den gegebenen Umständen glaube ich allerdings, dass Lucio liebend gerne darauf verzichtet hätte, die Menschheit mit dieser Gabe zu erfreuen.
Ich führe ihn zu dem Tisch, wo Carla auf uns wartet. Lucio tastet nach einem Stuhl.
»Ciao, Lucio. Du warst großartig.«
»Ciao, Mädchen. Bravo hat Recht.«
»Damit, dass du nicht gut bist?«
»Nein. Von Musik versteht er tatsächlich nichts. Von Parfüm dagegen schon. Deines ist wunderbar.«
»Das hat er mir gekauft, zusammen mit vielen anderen Dingen.«
Während sie sich unterhalten, schaue ich mich um. Es wundert mich, dass ich Chico nicht sehe, den Jungen, der Lucio sonst begleitet.
»Wo ist eigentlich dein Alter Ego?«
Mein Freund befleißigt sich einer manierierten Gestik und spricht leicht im Falsett.
»Mein Chauffeur, meinst du? Dem habe ich heute Abend frei gegeben.«
»Und wer bringt dich nach Hause?«
Lucio wird wieder ernst.
»Chico hat mich gebracht, aber er kann mich nicht abholen. Ich habe mit dem Wirt verabredet, dass er mich nach Hause fährt.«
Carla kommt mir zuvor.
»Du fährst mit uns.«
Ich signalisiere Zustimmung, warne ihn aber vor.
»Du wirst dich bescheiden müssen, unser Wagen ist voll mit Tüten und Päckchen. Aber wir werden dir schon ein Plätzchen freiräumen.«
»Sehr gut. Ich werde Sardine spielen. Ist pur okay, oder wollt ihr mich in Öl?«
Carla lacht, und wir stehen auf. Als wir dem Wirt die Programmänderung mitteilen, wirkt er erleichtert, dass er nicht um diese Zeit noch die ganze Strecke bis Cesano Boscone bewältigen muss. Da Lucio am nächsten Abend wieder spielen wird, vertraut er dem Mann seine beiden Gitarren an und bittet ihn inständig, den Aufbewahrungsort gut abzuschließen.
Wir gehen hinaus und überlassen Gäste und Personal den letzten Zuckungen des Mailänder Nachtlebens. Nachdem wir den Wagen erreicht haben, werden wir zu drei verschiedenen Personen, die zufällig auf derselben Strecke unterwegs sind. Während der gesamten Fahrt rauche und schweige ich und höre zu, wie sich meine beiden Mitfahrer über Musik unterhalten, nachdem Carla sich zunächst überschwänglich über unseren nachmittäglichen Einkaufsbummel ausgelassen hat.
Der nächtliche Verkehr empfängt uns mit offenen Armen, die Schilder weisen den Weg, und schneller als gedacht ist der Mini zu Hause angelangt. Wir sammeln die Päckchen ein und schaffen es, bestens gelaunt und trotz der vollen Hände, Lucio zum Eingang zu dirigieren, die Glastür aufzuschieben und zum Treppenabsatz hochzusteigen.
Ich öffne meine Tür. Endlich können wir uns der leichten, aber wertvollen Fracht entledigen. Bevor ich drinnen auf den Lichtschalter drücken kann, überrascht mich eine Stimme.
»Mögt ihr einen Kaffee?«
Ich drehe mich um und sehe Lucio auf der Schwelle seiner Wohnung stehen.
Carla und ich schauen uns an. Wir wissen beide, dass der Kaffee nur ein Vorwand ist. Das kaum verschleierte Ziel ist es, sich mit ein paar Löffeln Zucker die Einsamkeit zu versüßen. Wenn ich nicht wäre, wer ich bin, hätte ich es eilig, mit Carla alleine zu sein. Aber manchmal im Leben hat man nicht die Wahl. Man kann sich lediglich aussuchen, mit wem man den Käfig teilen möchte.
»Gut, trinken wir einen Kaffee.«
Wir folgen ihm in die Wohnung gegenüber. Als er uns eintreten hört, streckt Lucio die Hand aus, um das Licht anzumachen. Es versetzt mir einen Stich, dass er das nur für uns macht. Was das betrifft, dürfte seine Stromrechnung ziemlich niedrig sein. Carla schaut sich mit unverhohlenem Interesse in der Wohnung um. Sie betrachtet die kahlen Wände und die zusammengewürfelten Farben und zieht vielleicht dieselben Schlüsse, zu denen ich seinerzeit gelangt bin. Hier wurde alles nach praktischen Gesichtspunkten ausgewählt, und scharfe Kanten fehlen nach Möglichkeit. Ästhetik ist ein Luxus, auf den Lucio notgedrungen verzichten muss. Und wie aller Luxus erweist sich
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