Der Frauenhaendler
Platz und bleibt vor Lucio stehen. Er spürt ihre Anwesenheit und steht auf. Irgendwann hebt er seine Hände und streicht ihr langsam mit den Fingerkuppen übers Gesicht. Dann lässt er seine Finger durch ihr Haar gleiten, fährt ihr über die Stirn, über die Nase, horcht ihre Haut ab. Er erkundet sie mit der Sorgfalt und Neugierde eines Experten, der ein altes Dokument entschlüsselt.
»Mein Gott, bist du schön.«
Auf Carlas Gesicht tritt ein schmerzhafter Ausdruck. Sie dreht sich zu mir um, mit fragendem Blick. Ich nicke zum Zeichen der Zustimmung.
Sie nimmt Lucios Hände und legt sie an ihre Brust. Sie bewegt sie langsam, damit ihr Gegenüber auch diesen Teil ihres Körpers kennen lernt. Dann beugt sie sich vor und küsst ihn. Zunächst legt sie nur kurz ihre Lippen auf seine und zieht sich dann wieder zurück. Ein Austausch von Atemluft, nichts weiter. Nach einem Moment, in dem alles zu schweben scheint, nähert sich Carla wieder und küsst ihn richtig. Zungen und Speichel vermischen sich, der einzige Stift und die einzige Tinte, die zwischen Mann und Frau die perfekte Liebesbotschaft transportieren können.
Erneut löst sich Carla, tritt einen Schritt zurück und nimmt Lucio bei der Hand. Ohne etwas zu sagen, verlässt sie das Zimmer und führt ihn zur Flurtür, hinter der sie das Schlafzimmer vermutet.
Ich bleibe allein zurück.
Unendlich allein.
Ich rauche die Zigarette auf und zünde mir eine neue an, bevor ich den beiden folge. Als ich das Zimmer betrete, besteht das einzige Licht in dem Widerschein, der aus dem Wohnzimmer durch den kurzen Flur fällt.
Ich setze mich in den Sessel an der Wand gegenüber vom Bett und beobachte, wie Lucio und Carla sich lieben. Ohne es zu merken, gleiten wir alle drei in eine künstliche, flüchtige Nacht hinüber. Nichts gehört niemandem. Die beiden nackten Körper auf dem Bett verschlingen sich ineinander und bewegen sich und verabreichen sich wechselseitig alle Arten von Gift, für die sie gleichzeitig das richtige Gegengift bereithalten. Ich bleibe sitzen und schaue zu und absorbiere wie eine Pflanze das Kohlendioxid aus ihrem Atem. Wie eine Marmorstatue verharre ich reglos vor dieser sexuellen Geste, die von jemandem ausgeführt wird, der sie nicht sehen kann, um jemanden zu ersetzen, der sie nicht ausführen kann.
Kapitel 11
Als ich mittags aufwache, schläft Carla noch.
Ich habe die Tür nicht abgeschlossen, obwohl ich davon ausgegangen war, dass sie bis morgens bei Lucio bleiben würde. Stattdessen habe ich sie nachts irgendwann wortlos in mein Bett schlüpfen hören. Sie hat mir den Rücken zugedreht und Kontakt mit meinem Körper gesucht. Ich war wieder eingeschlafen, als wäre es normal, dass sie neben mir lag.
Ich schalte die Lampe auf meinem Nachttisch an und betrachte Carla. Sie liegt auf der Seite, nackt. Der Körper ist nur zum Teil von einem Laken bedeckt. Ich strecke eine Hand aus, streichele ihre Haut und folge der feinen Linie ihrer Hüften. Sie stöhnt, wälzt sich herum und bietet meinen Zärtlichkeiten ihre Brüste dar. Dann schlingt sie mir die Arme um den Hals und verbirgt, ohne die Augen zu öffnen, ihr Gesicht an meinem Schlüsselbein.
Ihr Atem ist heiß und riecht nach Schlaf.
»Bravo …«
Ich weiß nicht, ob das mein Name sein soll oder eine Anerkennung für die Qualität meiner Zärtlichkeiten. Meine Wahl fällt auf Ersteres.
»Was ist?«
»Mit dir ist alles so schön.«
Diese Worte kenne ich. In der Vergangenheit habe ich sie oft gehört. Aber nur ein einziges Mal bisher war ich bereit, sie zu empfangen, und nur ein einziges Mal hatten sie die Macht, Schaden anzurichten. Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, als ich ein anderer Mann war als der, der ich jetzt bin. Und auch die Frau, die sie sagte, war eine andere.
Beide hatten wir uns eingebildet, besser zu sein, als wir es tatsächlich waren.
Wenn es Momente gibt, die unvergesslich sind, hat mir Carla soeben einen geschenkt, was auch immer daraus folgen mag. Ich weiß nicht, was für eine Zukunft die nächste Stunde für uns bereithält, aber ich weiß, dass es ein Abschluss sein wird, nach dem ich beginnen kann zu vergessen und neue Erfahrungen zu machen.
Nicht sofort allerdings.
»Ich habe ein paar Dinge zu erledigen. Und du auch.«
»Ja, ich weiß.«
»Darüber sprechen wir später.«
»In Ordnung.«
Sie löst sich von mir und legt den Kopf aufs Kissen, immer noch ohne die Augen zu öffnen. Vielleicht kann ich mich deshalb retten und das
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