Der Frauenhaendler
auch dieser als überflüssig.
Unser Gastgeber begibt sich in seine winzige Küche.
»Setzt euch, während ich den Kaffee mache.«
Carla unterbricht ihn.
»Nein, ich mache das.«
»Aber …«
»Kein Aber. Du hast heute Abend gearbeitet, ich dagegen habe es mir den ganzen Tag gut gehen lassen. Setz dich und lass dich bedienen. Jetzt, da ich es endlich aus freien Stücken tun kann, mache ich es gerne.«
Lucio gibt nach und setzt sich an den Tisch. Carla verschwindet in der winzigen Küche, und wir hören, wie sie auf der Suche nach der Espressokanne und den nötigen Zutaten die Hängeschränke öffnet. Ich bleibe mitten im Zimmer stehen, vor einer Kommode mit Türen und Schubladen. Oben drauf stehen das Telefon, das Radio und ein Glasbehälter mit Schlüsseln, Zetteln und Kleingeld.
Daneben liegen ein paar Fotos. Ich betrachte sie und erkenne Lucio, der, ein paar Jahre jünger als jetzt, zwischen anderen jungen Leuten auf einer Bühne steht. Sie nehmen Posen ein, wie es sich für Musiker gehört. Um sie herum wimmelt es von Musikinstrumenten, Mikrofonen und Verstärkern. Auf dem Schlagzeug steht in Frakturschrift der Name der Gruppe: Les Misérables.
»Du hast mir gar nicht erzählt, dass du in einer Band gespielt hast.«
»Wie kommst du denn da jetzt drauf?«
»Hier auf dem Schrank liegen ein paar Fotos.«
Mein Freund erklärt mir, warum.
»Ich habe sie Chico gezeigt, bevor wir aufgebrochen sind, und er hat vergessen, sie wegzuräumen. Vielleicht sollte ich mich nach einem anderen Diener umschauen.«
»Hat sie lange existiert? Die Band, meine ich.«
Lucio zieht eine Grimasse.
»Nein. Wir haben es eine Zeit lang versucht, aber wir waren nur gut, nicht sehr gut. Außerdem hatten die anderen Dinge im Kopf, die nicht viel mit Musik zu tun hatten.«
»Und du?«
Zum ersten Mal, seit ich ihn kenne, lässt er ein gewisses Bedauern erkennen.
»Ich habe alleine weitergemacht, allerdings nicht mit der nötigen Energie. Man sieht es nicht, aber als diese Fotos gemacht wurden, waren meine Augen schon ziemlich hinüber.«
Ich schaue wieder auf die Bilder. Lucio ist der Einzige, der nicht lächelt. Ich lege sie auf die Kommode zurück und setze mich Lucio gegenüber an den Tisch.
»Bravo, darf ich dich etwas fragen?«
»Natürlich.«
»Was ich so mache, weißt du. Jetzt hast du sogar einen Einblick in meine Vergangenheit bekommen. Aber womit beschäftigst du dich eigentlich?«
Es ist immer schwer, das zu erklären. Jemandem gegenüber, der mit einem solchen Scharfsinn begabt ist wie Lucio, noch viel mehr.
»Wollen wir sagen, dass ich eine Art Geschäftsmann bin?«
Er lächelt und respektiert meinen Rückzug.
»Ich habe das Gefühl, dass ich, wenn ich mich nach der Art dieser Geschäfte erkundigen würde, keine zufriedenstellende Antwort bekäme.«
Ich bemühe mich um einen beschwichtigenden Tonfall, da er meine unwillkürlichen Gesten nicht sehen kann.
»Geschäft ist Geschäft. Sie alle haben immer nur ein einziges Ziel, nämlich Geld ins Haus zu bringen. Und alles, was mit nichts anderem als Geld zu tun hat, ist es nicht wert, dass man einen Gedanken daran verschwendet.«
Carla kommt mit dem Kaffee und beendet diesen Austausch von Vertraulichkeiten. Mit Sicherheit hat sie gehört, worüber wir gesprochen haben, aber sie greift keines der Themen auf. Sie stellt jedem von uns eine Espressotasse hin. Dann geht sie zurück, um ihre Tasse und den Zucker zu holen.
»Und du, Carla? Was arbeitest du?«
Carla kommt zurück, stellt die Zuckerdose auf den Tisch, legt die Löffel daneben und setzt sich mit der Tasse in der Hand zwischen uns. Carla trinkt ihren Kaffee schwarz.
»Bis gestern habe ich für eine Reinigungsfirma gearbeitet. Jetzt schaue ich mich nach etwas anderem um.«
»Du bist Putzfrau? Mit diesem Duft? Das glaube ich nicht.«
»Ist aber so. Oder besser, es war so.«
Der heiße, aromatische Kaffee bringt uns einen Moment zum Schweigen. Wir verharren unter diesem Licht, das von oben herabfließt, jeder verloren in seine Gedanken, wie das Leben hätte sein können, wenn die Dinge anders gelaufen wären. Versunken in eine fiktive, illusorische Alternative, die als solche auch nichts versüßen kann.
Lucio ergreift als Erster das Wort.
»Carla, darf ich dein Gesicht berühren?«
Über diese Frage muss sie offenbar nachdenken. Ich habe Zeit, mir noch eine Zigarette anzuzünden, bevor sie antwortet.
Als sie es tut, liegt keine Unsicherheit in ihrer Stimme.
»Sicher.«
Sie verlässt ihren
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