Der Frauenjäger
als sie die Brotscheiben mit Butter bestrich und dick mit Salami belegte. Für die Dauer ihrer Mahlzeit machte sie es sich auf der Bank bequem. Das Fleischermesser lag in Griffnähe. Die eiskalten Füße legte sie auf einen der Stühle und wickelte auch sie noch in die Vorhangbahn.
Aber zu lange so sitzen wollte sie nicht, um nicht einzuschlafen. Die Salamibrote machten ihre Augenlider schwer. Ein Kaffee wäre gut gewesen. Doch den gab es wohl nur unten bei den Computern. In der Küche fand sich nicht mal ein Teebeutelchen oder ein Wasserkocher. Sie begnügte sich mit einem Glas Cola und einem halben Liter Milch. Dann nahm sie das Fleischermesser und wagte sich weiter.
Der Hausflur war ebenso schmal wie der Gang im Keller. Und die Haustür war die erste, die abgeschlossen war. Es steckte kein Schlüssel, es hing auch keine Hakenleiste mit Schlüsseln an einer Wand. Gegenüber der Küche mündete eine weitere lindgrün gestrichene Zimmertür mit Oberlicht auf den Flur. Im Hintergrund führte eine enge Treppe in ein oberes Geschoss.
Sie horchte angestrengt, war doch überzeugt, dass der Mistkerl sich irgendwo im Haus aufhielt. Wahrscheinlich wartete er hinter der zweiten Zimmertür auf sie, grinsend, mit einem Messer, einem Beil oder sonst einer Waffe in der Hand. Im Geist hörte sie ihn fragen: «Hat’s geschmeckt, Lenchen? Eine letzte Mahlzeit war ich dir schuldig, fand ich, wo du dich für mich so ins Zeug gelegt hast. Aber jetzt gehst du brav wieder dahin, wo du hergekommen bist. Sei vernünftig, leg das Messer hin. Oder muss ich nachhelfen? Ich will dir nicht wehtun, aber ich kann dich nicht laufenlassen. Das weißt du doch.»
Und nicht einmal die Aussicht auf eine unmittelbar bevorstehende Konfrontation mit dem Tod brachte sie dazu, den Fehler zu machen, auf den er jetzt vielleicht setzte. Das Küchenfenster über der Bank hatte nur einen einfachen Griff. Sie hätte es bestimmt öffnen, hinausklettern und davonlaufen können.
Auf tauben Füßen hinein in den Schnee. Mit kaputten Knien und Beinen, deren Blutzirkulation unter dem dicken Vorhangstoff eben erst wieder richtig in Gang kam, durch das eisige Gestöber da draußen. Ohne die geringste Ahnung, wo sie sich befand, hinein in den sicheren Tod.
Sollte man irgendwann ihre Leiche finden, konnte er Unschuld heucheln und jammern: «Warum hat sie nicht auf mich gehört? Ich habe noch zu ihr gesagt, du solltest bei dem Wetter nicht mehr zurückfahren. Bleib über Nacht hier, Werner hat bestimmt nichts dagegen. Wenn du unterwegs eine Panne hast, du hast ja nicht mal ein Handy …»
Wahrscheinlich hatte er einen Unfall inszeniert, nachdem er sie in der Höhle abgelegt hatte. Ihren Van mitsamt ihrer Handtasche in irgendeinen Graben gefahren oder einen Abhang hinunterrollen lassen. Deshalb hatte er ihr die Handtasche wegnehmen müssen. Sonst wäre es nicht glaubwürdig gewesen.
Glaubwürdig war es jetzt auch nicht mehr, was er aber nicht wissen konnte. So wie sie mittlerweile aussah, würde jeder Polizist fragen: «Wieso hat die Frau sich einen Vorhang umgewickelt? Warum trägt sie keine Hose, keine Strümpfe und keine Stiefel? Wo hat sie ihre Jacke so dreckig gemacht? Und wo hat sie sich die Knie dermaßen ramponiert?»
Ins Freie schaffen und sie irgendwo draußen ablegen konnte er sie nicht mehr so ohne weiteres. Hinausjagen konnte er sie auch nicht, nur zurück. Sie umfasste den Messergriff fester und schlich zur zweiten Zimmertür.
Wie kaum anders zu erwarten, befand sich dahinter ein Wohnzimmer. Und wäre der Mistkerl auf der Couch eingeschlafen, weil er die Nacht vor den Monitoren da unten verbracht und sich angeschaut hatte, wie sie durch die Höhle irrte, sie hätte ihm das Messer an die Kehle gesetzt.
Ob sie ihn töten könnte, wusste sie nicht. Ihr Verstand sagte, sie müsse ihn töten, weil er sie sonst binnen kürzester Zeit wieder überwältigen würde. Aber wenn eine Frau einen schlafenden Mann umbrachte, wurde ihr das als Heimtücke ausgelegt – hatte sie mal gelesen. Es spielte keine Rolle, was der Mann der Frau vorher angetan hatte. Wenn er schlief, durfte sie ihn sich nicht vom Hals schaffen – nur weglaufen und hoffen, dass sie sich in Sicherheit bringen konnte. Wenn das nicht gelang, hatte die Frau eben Pech gehabt.
Es waren überflüssige Gedanken, im Wohnzimmer hielt sich kein Mensch auf. Blieb noch das Obergeschoss, vielleicht hatte er sich ins Bett gelegt, weil das bequemer und er doch ziemlich geschwächt gewesen war. Also
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