Der Frauenjäger
dass es keine Zeugen gab, die ihn mit ihr sahen und der Polizei später, wenn sie vermisst wurde, eine Beschreibung von ihm oder seinem Fahrzeug geben konnten. Aber er hatte keine Ahnung, wie er das bewerkstelligen sollte. Ob er aussteigen und eine überwältigenmüsste, die so spät noch allein unterwegs war. Wie er es vermeiden könnte, dass sie um Hilfe schrie. Dass er sie gleich betäuben müsste, damit sie sich nicht wehrte, hatte er überlegt. Und dann war es so einfach.
Sie war erst Anfang zwanzig, stand da und winkte hektisch, als er sich näherte. Als er neben ihr hielt, sprang sie regelrecht auf den Beifahrersitz. Mit ihr kam ein Schwall feuchtkalter Luft herein. Es war November, und es nieselte. Angeblich war ihr der letzte Bus vor der Nase weggefahren. Der nächste käme erst morgen früh um Viertel nach fünf, behauptete sie. Möglich, dass es zutraf, er stieg nicht aus, um sich auf dem Fahrplan vom Wahrheitsgehalt ihrer Worte zu überzeugen.
Sie hatte eine Reisetasche dabei, die sie auf ihrem Schoß hielt, bis er sie von dem Teil befreite und es nach hinten auf die Rückbank warf. Da wusste er schon, dass ihr Freund sie vor die Tür gesetzt hatte, weil sie kein Kind von Traurigkeit und ihr Freund angeblich krankhaft eifersüchtig war.
Vor lauter Erleichterung, nicht die ganze Nacht in der feuchten Kälte stehen zu müssen, sprudelte sie förmlich über. Ihrem Freund würde das bald leidtun. Es sei nicht das erste Mal, dass er sie rausgeworfen hätte. Und bisher habe er noch immer nach spätestens zwei Tagen reumütig angerufen, sie um Verzeihung gebeten und angefleht zurückzukommen, weil er ohne sie nicht leben könne.
Deshalb wolle sie nicht zu weit weg und keinesfalls zu ihren Eltern. Die würden nur wieder ihrem Freund recht geben und ihr Vorträge über einen ordentlichen – sprich antiquierten – Lebenswandel halten.
«Ich brauche nur vorübergehend eine Unterkunft», sagte sie. «Ein preiswertes Hotel oder eine billige Pension. Du kennst nicht zufällig was in der unteren Preisklasse?»
Das nicht, aber er kannte einen Ort, an dem sie nicht mit Geld bezahlen musste. Genauso drückte er das aus und ergötzte sich an ihrer Dämlichkeit. Sie verstand es natürlich falsch, freute sich auch noch über sein Angebot, legte ihm eine Hand aufs Bein und schnurrte wie ein zufriedenes Kätzchen. «Lieb von dir. Du wirst es nicht bereuen.» Tat er auch nicht. Sie bereute. Knappe sechs Tage lang. Die meiste Zeit bei vollem Bewusstsein.
Nummer zwei war schon Ende dreißig und hätte ein Zwilling seiner Mutter sein können – nicht nur vom Äußeren her. Er las sie vor einer Kneipe auf. Sie war total betrunken und machte ihn dermaßen unverschämt an, dass er unweigerlich dachte, sie sei früher mal auf den Strich gegangen.
Ihr Mann schuftete als selbständiger Handwerker täglich bis weit in die Nacht hinein, damit sie es warm und gemütlich hatte. Und sie fühlte sich vernachlässigt, brauchte ab und zu was fürs Herz, brauchte das Gefühl, noch eine Frau zu sein, nach der Männer sich umdrehten, erzählte sie ihm während der Fahrt. Da glaubte sie noch, sie würde in seinem Bett landen. Sie hielt nicht mal vier volle Tage durch.
Mit Nummer drei und Nummer vier ließ er sich im Vorfeld mehr Zeit, beobachtete sie wochenlang, folgte ihnen auf Schritt und Tritt. Die Genugtuung war einfach größer, und er konnte sich seiner Sache vollkommen sicher sein, weil er sie besser kennenlernte, ehe er sie aus der Welt schaffte. Danach blieb er wochenlang in der Nähe ihrer Angehörigen.
Und wie oft bedauerte er, dass der Freund von Nummer eins, der biedere Handwerker und die Männer von Nummer drei und vier nie erfahren durften, was er für sie getan hatte. Ihren größten Fehler korrigiert, sie von einerSchlampe befreit, von der sie sich selbst nicht hatten befreien können, weil sie zu schwach, zu nachsichtig oder beides waren. Nach seinem Eingreifen konnten sie neu beginnen mit einer Frau, die es vielleicht eher verdiente, geliebt zu werden.
Von Zeit zu Zeit schaute er nach dem Rechten und genoss diesen Triumph, den er leider mit keiner Menschenseele teilen konnte. Andere hätten sein Handeln wahrscheinlich nicht verstanden und dafür gesorgt, dass polizeiliche Ermittlungen gegen ihn eingeleitet wurden. So lebte er völlig unbehelligt in der Gewissheit, dass sein Tun gut und richtig war.
Dem Freund von Nummer eins ging es ohne das Weib entschieden besser. Er hatte schon kurz nach dem Verschwinden der
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