Der Frauenjäger
Jetzt kommandiert sie das Team.»
«War nicht anders zu erwarten», kommentierte Andreas.
Pfefferminztee war auch keiner da, wie Marlene inzwischen festgestellt hatte. Nur ein lila Päckchen mit noch drei Beuteln einer Wohlfühlmischung, die Johanna mal für sich gekauft hatte. Andreas gab sich damit zufrieden, behauptete nach dem ersten vorsichtigen Schluck, das Gebräu sei wohlschmeckend. Zucker brauchte er nicht.
Stattdessen zog er ein kleines braunes Fläschchen aus einer Hosentasche, träufelte zwanzig Tropfen einer trüben Flüssigkeit auf den Löffel und schüttelte sich, nachdem er die Brühe geschluckt hatte. «Schmeckt eklig, soll aber sehr wirksam sein, behauptet meine Kräuterhexe», erklärte er.
«Wie bist du an so eine gekommen?», fragte Marlene.
Er erzählte etwas von einer Empfehlung und dass er gestern auf dem Weg zu seiner Kräuterhexe gewesen sei, als ihm plötzlich schwummrig wurde und er sich samt Motorrad in der Straßenböschung wiederfand. Zum Glück war das noch in der Zivilisation geschehen, wo bald einer vorbeigekommen war, der einen Rettungsdienst alarmiert hatte. Ein paar Kilometer weiter, da läge er wahrscheinlich jetzt noch im Schnee. Die Kräuterhexe lebte nämlich in der Eifel, mitten im Wald, wie sich das eben für eine Hexe gehörte.
Den Toast, den Marlene ihm anbot, lehnte er ab. «So früh am Morgen kriege ich keinen Bissen runter.»
«Viertel vor zehn ist nicht früh am Morgen. Und gestern hast du den ganzen Tag nichts in den Leib bekommen», erinnerte sieihn. «Ein verdorbener Magen ist normalerweise nach einem Tag mit Tee und Zwieback auskuriert.»
«Tee und Zwieback hatte ich doch nicht», erwiderte er grinsend. «Und wann war ich je normal? Aber so bleibt man schlank.»
Marlene hätte gewettet, dass er Untergewicht hatte. «Um deine Figur würden dich die Hungerhaken auf der nächsten Modemesse beneiden», sagte sie. «Es wundert mich, dass Ulla dich nicht für Matthias gehalten hat, als du letzte Woche bei Scheidweber aufgetaucht bist. Matthias ist auch so schlank, dass die Tauben an der Kirche immer ihn füttern wollen.»
«Lenchen, du erstaunst mich», flachste er. «Du bist ja richtig witzig geworden. Wo hast du das gelernt?»
Das hätte sie selbst gerne gewusst.
Als sie sich wieder zu ihm an den Tisch setzte, meinte er: «Ich sitze wohl auf Wewes Platz, was? Wie war das noch? Er muss dir gegenübersitzen, damit er dich richtig ansehen kann. So hat er es mal ausgedrückt, das höre ich heute noch. Ist er immer noch so verliebt in dich?»
«Er behauptet es zumindest», sagte sie.
«Und immer noch höllisch eifersüchtig, was?» Ganz kurz huschte noch ein kumpelhaftes Grinsen über sein runzliges Gesicht, dann wurde er ernst. «Egal. Er sieht ja nicht, wie ich dich gerade anhimmele. Engel muss man anhimmeln. Du bist ein Engel, Lenchen. Was du hier für mich tust, kann ich nie wiedergutmachen.»
«Das brauchst du auch nicht.» Sein Dank war ihr peinlich, bisher hatte sie doch nicht mehr für ihn getan, als ihn schlafen zu lassen. «Ich bin froh, dass ich Gesellschaft habe.»
«Meinst du, Wewe wäre ebenso froh darüber?»
«Das werden wir feststellen, wenn er sich das nächste Mal meldet», sagte sie.
Darauf mussten sie nicht lange warten. Um zehn machteWerner eine kurze Kaffeepause. Und wie am Vortag interessierte ihn, ob sie gut geschlafen hatte. Sie erzählte ihm nochmal dasselbe wie gestern, behauptete, heute sogar länger geschlafen zu haben, weil sie nicht mit Johanna habe aufstehen müssen.
«Wieso nicht?», fragte Werner, obwohl eine Siebzehnjährige nicht mehr darauf angewiesen war, dass ihr morgens jemand das Müsli hinstellte.
«Ich habe sie gestern zu Annette und Christoph geschickt, damit ich sturmfreie Bude habe», antwortete Marlene.
Im ersten Moment hielt Werner das wohl für einen Scherz – oder für ihre Art, die eigene Hilflosigkeit und das mangelnde Durchsetzungsvermögen zu kaschieren. «Marlene», setzte er zu einem Vortrag über untergrabene Autorität an.
«Ich habe nämlich Besuch von einem Freund», unterbrach sie ihn, ehe er richtig loslegen konnte. «Den muss Johanna nicht unbedingt sehen. Sonst erzählt sie es noch ihrer Freundin Julchen.»
Jetzt begriff Werner. Er lachte überrascht auf. «Ist Andreas wieder da? Das ging aber schnell. Gib ihn mir mal.»
Marlene zerrte die Schnur hinter dem Zweisitzer heraus, trug das Telefon durch die Diele in die Küche und hielt Andreas den Hörer hin. «Hallo, Wewe», sagte er.
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