Der Frauenjäger
Donnerstag noch zu der Hexe. Was für ein Tag ist heute?»
«Freitag», sagte Ulla merklich zurückhaltend. Das Tackern im Hintergrund verriet, dass sie ihre Arbeit am Computer wiederaufgenommen hatte. «Wie meinst du das, verschleppt?»
«Ich habe ihn nach Euskirchen gefahren, zum Krankenhaus. Er hat mich in die Innenstadt geschickt, einen Kaffee trinken. Er wollte nachkommen. Dann bin ich hier aufgewacht. Barbara König war auch hier. Ich hab gesehen, wie sie in den Graben gefallen ist. Du kannst dir nicht vorstellen, wie das gestunken hat. Da lagen auch Knochen. Ich hatte mir eine Fackel gemacht mit etwas, das sah aus wie ein Bein.»
«Jetzt mach aber mal einen Punkt», verlangte Ulla energisch. «Barbara König! Knochen! Willst du Karola Konkurrenz machen?»
Bis zu Ulla war die Nachricht, dass Karolas Nachbarin erneut verschwunden war, noch nicht gedrungen. Als Marlene es erwähnte, wurde Ulla ein wenig kleinlauter: «Aber du bist jetzt nicht wirklich in einer Höhle, oder?»
«Nein, jetzt bin ich im Schlafzimmer», sagte Marlene. «Aber ich muss hier raus, ehe er zurückkommt. Ich steige gleich unten aus dem Fenster. Und ich will, dass du weißt …»
«Gerdamarie Ammer», schnitt Ulla ihr noch einmal das Wort ab.
«Was?» So schnell konnte sie nicht umschalten.
«Du telefonierst von einem Anschluss, der auf den Namen Gerdamarie Ammer eingetragen ist», erklärte Ulla.
«Die Kräuterhexe», schlussfolgerte Marlene. «Hat Andreas dir gesagt, wie sie heißt?»
«Die Nummer wird übertragen. Ich habe eine Rückwärtssuche gemacht. Du bist in …» Ulla stockte als sie weitersprach, klang sie verunsichert. «Was ist das denn? Flurstück drei. Das ist doch kein Ort.»
«Hier ist auch kein Ort», stimmte Marlene zu. «Die Hexe lebt mitten im Wald.»
«Ja, ja», sagte Ulla genervt und bat: «Erzähl mal der Reihe nach, was du noch weißt.»
Während Marlene übers Festnetz berichtete, woran sie sich erinnerte, probierte Ulla mit ihrem Handy, Andreas an die Strippe zu bekommen. Nach etlichen Sekunden teilte sie mit: «Bei dir zu Hause geht keiner ran.»
«Ist doch auch keiner da», sagte Marlene. «Werner muss noch in Straßburg sein, Johanna in der Schule, Leonard kommt erst heute Nachmittag aus Tirol zurück. Und Andreas treibt sich hier irgendwo herum. Wahrscheinlich sind sie einkaufen. Im Kühlschrank lag nur ein Päckchen Salami, die habe ich aufgegessen. Das Brot ist auch alle.»
Ulla hörte ihr gar nicht zu, sondern fiel ihr ins Wort: «Er geht auch nicht an sein Handy.»
Trotzdem konnte Ulla sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Andreas für Marlenes Aufenthalt im Haus einer Gerdamarie Ammer verantwortlich sein sollte. Vom Aufenthalt in einem Berg oder einer Höhle ganz zu schweigen. Daran änderte auch Barbara Königs Geldbörse nichts, die Marlene dann doch noch aus der Jackentasche zog. Die größere Plastikkarte war tatsächlich der Personalausweis von Karolas Nachbarin.
«Du willst einfach nicht glauben, dass Andreas zu so was fähig ist», stellte Marlene fest. «Ich konnte es mir auch nicht vorstellen, bis ich es glauben musste. Und jetzt hau ich ab, ehe er zurückkommt und …»
«Nichts da», unterbrach Ulla sie zum letzten Mal. «Du steckst mitten in der Pampa und rührst dich nicht vom Fleck, bis die Polizei bei dir ist. Die rufe ich jetzt an. Unter der Vorwahl wird es wohl irgendwo einen Polizeiposten geben, und die müssen wissen, wo sie Flurstück drei finden. Wenn es brenzligwird, ehe sie da sind, schlag dich von mir aus in die Büsche, aber bleib in der Nähe dieses Hauses, versprich mir das.»
22. Januar 2010 – Freitag
Schlag dich in die Büsche!
Wenn sie das erst tat, sobald es brenzlig wurde, war es zu spät. Das wusste Marlene schon, als sie im oberen Schubfach der Kommode, auf der die Ladestation des Telefons stand, etwas Unterwäsche und einige Paar dünner Perlonstrümpfe entdeckte. Im unteren Schubfach lagen dicke Wollsocken. Wie bei den Hosen zog sie zwei Paar übereinander, so passten die Stiefel.
Dick vermummt stieg sie die Treppe wieder hinunter. Das Telefon nahm sie mit. Annette hatte doch mal erwähnt, es hätte eine Reichweite von dreißig Metern.
Bleib in der Nähe!
Da konnte der Handapparat auch draußen im Notfall noch nützlich werden.
Bei einem Blick aus dem Küchenfenster verspürte sie nicht die geringste Lust hinauszusteigen. Sie hätte entschieden lieber in der gemütlichen, warmen Küche auf die Polizei gewartet. Auf der
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