Der Frauenjäger
über den Donnerstagvormittag, als sie selbst bei Karola im Studio gesessen und die Gemütslage einer überflüssigen Frau so treffend beschrieben hatte. Darüber kam sie auf Lucy Jordan. Und Andreas war der Erste und Einzige, dem sie vom Staubsaugerschlauch und dem Auspuffrohr erzählte.
«Das klingt aber gar nicht gut, Lenchen», meinte er sehr ernst. «Weiß Werner davon?»
Sie schüttelte den Kopf. «Ich will auch nicht, dass er es erfährt.»
«Keine Angst», sagte er. «Von mir erfährt kein Mensch etwas. Ich hoffe nur, du hast den Punkt weit hinter dir gelassen. Mit Depressionen geht man zu einem Arzt, aber nicht in die Garage.»
«Mit einem verkorksten Magen geht man auch zum Arzt und nicht zu einer Kräuterhexe», hielt sie dagegen.
«Und dann geht man mit dem Rezept vom Arzt in die nächste Apotheke», ergänzte er. «Aber muss man denn immer gleich mit Kanonen auf Spatzen schießen und die geballte Pharmaindustrie gegen eine Gastritis auffahren? Ich finde nicht. Abgesehen davon hat so eine Hexe noch andere Vorteile. Wenn’s draußen Stein und Bein friert, findet man bei ihr ein warmes Plätzchen.»
«Dann hast du vorletzte Nacht bei ihr geschlafen?»
«Nein», sagte er knapp.
Nummer neun
Im Obergeschoss gab es zwei Schlafzimmer und ein kleines Bad. Die drei Türen standen offen, so sah Marlene auf Anhieb, dass sich auch oben niemand aufhielt. Was sie davon halten sollte, wusste sie nicht. Wo mochte der Mistkerl stecken? Warum hatte er das Haus verlassen? Einkäufe machen, etwas Besseres fiel ihr nicht ein. Der Kühlschrank war doch so gut wie leer, die Brottüte auch. Er brauchte Brot und Butter, Wurst, Käse und Kaffee, vielleicht auch nur Tee und Zwieback, um sich übers Wochenende an den Computern zu amüsieren.
Sie durfte getrost Geräusche verursachen. Das Bad lag gleich bei der Treppe. Und jetzt drückten das Glas Cola und der halbe Liter Milch auf die Blase. All die Stunden in der Kälte, die letzten davon in einer feuchten Hose, trugen wohl ihren Teil dazu bei.
Die W C-Brille war ebenso hochgeklappt wie der Deckel. Typisch Mann, dachte sie, klappte die Brille nach unten, setzte sich und ließ den Blick schweifen. Auf dem Badewannenrand standen ein Haarshampoo und ein billiges Duschgel. Auf der Ablage über dem Waschbecken lag ein Elektrorasierer neben einer Tube Zahncreme, dabei stand ein Becher, aus dem eine Zahnbürste ragte. Nichts, was eine weibliche Note gehabt hätte.
Das Becken war mit getrockneten Zahnpastaspritzern gesprenkelt. Auf dem Rand stand ein Spender mit Flüssigseife. Sie wusch sich gründlich die Hände und öffnete dann das Schränkchen mit den verspiegelten Schiebetüren über der Ablage. Darin waren die Utensilien einer älteren Frau untergebracht. Eine Dose Nachtcreme für reife Haut, eine Haarbürste, Haarspray, eine Packung Gebissreinigertabletten und ein Deo mit blumigem Duft.
Dahinter entdeckte sie ein Päckchen mit Heftpflasterstreifen und drei Röllchen Verbandmull, deren Cellophanhülle vergilbtund knittrig war. Dennoch war der Mull besser als der Vorhangstoff, von dem niemand wusste, wie viel Dreck und wie viele Keime er im Laufe der Zeit aufgenommen hatte. Bei jedem Schritt scheuerte der Velours über die offenen Wunden an ihren Knien.
Mit einem der Mullröllchen und viel heißem Wasser reinigte sie beide, so gut es eben ging. Ihre Knie sahen übel aus, stellenweise rohes Fleisch, das sofort wieder zu bluten begann, als sie es behutsam abtupfte. Die anderen beiden Röllchen benutzte sie als Verbände und befestige die Enden mit Heftpflaster.
Dann wickelte sie sich wieder in die Vorhangbahn, nahm das Fleischermesser vom Wannenrand und ging ins nächste Zimmer. Es wurde wie das Bad durch ein zugeschneites Dachfenster nur notdürftig erhellt und gehörte dem Anschein nach einem größeren Jungen. An den Wänden hingen alte Filmposter aus
Rocky
und
Krieg der Sterne.
Auf einem Regal standen Comicfiguren aus Plastik. Sie erkannte Spiderman, weil der kürzlich nochmal im Fernsehen ausgestrahlt worden war. Den zerknitterten Bettbezug zierten Rennwagen.
Dem Zimmer daneben sah man an, dass es von einer älteren Frau eingerichtet worden war. Über dem Doppelbett lag ein bestickter Überwurf, gekräuselte Volants hingen bis auf den Boden. Im Kleiderschrank fand sie Damengarderobe. Es war alles da, was sie brauchte, um sich für eine Flucht durch den Schnee auszustaffieren, sogar gefütterte Stiefel.
Sie nahm zwei lange Hosen, einen wadenlangen Mantel, Schal,
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