Der Frauenjäger
wollte sich nicht etwa an seinem jetzigen Elend weiden, ihm keinen Vortrag halten:
«Das hast du nun davon.»
Er war nur ihr Bungee, immer noch.
Annette meinte, Marlene sei Zeugin des Zusammenbruchs gewesen. Sie war eingeschnappt, weil Marlene ihr das nicht umgehend mitgeteilt hatte.
Vermisst hatte Marlene noch niemand. Während seiner
Kaffeepause
am Donnerstag hatte Werner von der Fahrt nach Euskirchen gehört. Den Kontrollanruf am Donnerstagabend hatte er sich verkniffen, damit Andreas nicht auf den Gedanken kam, er sei immer noch höllisch eifersüchtig und misstraue ihm. Dass am Freitagvormittag niemand abhob, hatte Werner nicht stutzig gemacht. Freitags ging Marlene doch immer auf Einkaufstour. Und Andreas – in einem fremden Haus gingman nicht ans Telefon, wenn man mit einem verletzten Bein zwei Treppen hinuntersteigen musste und offiziell gar nicht da war.
Johanna beabsichtigte, fünf Minuten vor ihrem Vater, also kurz vor neun Uhr abends, daheim zu sein. Leonard saß noch in einem der Busse, die seine Jahrgangsstufe aus Tirol zurückbrachten. Er wäre wohl der Erste gewesen, der vergebens Ausschau nach seiner Mutter gehalten hätte. Doch ehe es dazu kam, hatte Ulla sich Annettes Mini geliehen, Annette ins Bild gesetzt und ihrerseits erfahren, dass Andreas wirklich nicht der Übeltäter sein konnte.
Dann stand Ulla bereit, um Marlenes Sohn in Empfang zu nehmen. Um Leonard nicht unnötig zu beunruhigen, erzählte sie ihm, Marlene habe am vergangenen Nachmittag einen Freund nach Euskirchen gefahren. Da Karola inzwischen Bescheid wusste, brauchte man um Andreas kein Geheimnis mehr zu machen. Auf der Heimfahrt – behauptete Ulla – sei Marlene in einen kleinen Unfall verwickelt und leicht verletzt worden.
Der Mann, der Marlene auf dem verschneiten Weg zum Flurstück drei entgegenkam, trug eine dicke Steppjacke über der Uniform. Es war Polizeikommissar Oliver Lambrecht, mit dem sie telefoniert hatte. Den Rest des Wegs stützte er sie fürsorglich und bedrängte sie nicht mit weiteren Fragen. Im Streifenwagen am Straßenrand weiter unten wartete Silke Schmitter, die Marlene nur aufmunternd anlächelte.
Auf den Gedanken, sie zu durchsuchen, kam keiner. Lambrecht verlangte ihr nur das Messer und das Telefon ab und half ihr beim Einsteigen in den Wagenfond, ehe er sich vorne neben Silke Schmitter setzte und mit Blick über die Schulter sagte: «Wir bringen Sie jetzt ins Krankenhaus, Frau Weißkirchen. Ihre Anzeige können wir aufnehmen, wenn Sie sich ausgeruht haben und besser fühlen.»
Sie brachten Marlene genau dahin zurück, wo sich die Lücke in ihrem Gedächtnis auftat: In die Notfallambulanz des Marienhospitals Euskirchen. Mit Hinweis auf möglichen Drogenkonsum wurde sie an eine gestresste Krankenschwester weitergereicht.
Silke Schmitter ging gleich zurück zum Wagen, um Meldung zu machen. Lambrecht erkundigte sich nach Andreas Jäger und warf noch einen Blick in das Mehrbettzimmer. Andreas schlief. Karola war eine halbe Stunde vorher wieder aufgebrochen, musste doch um acht im Studio sein und als Frau Heinze Horoskope erstellen, die sie wie üblich aus Illustrierten ausgeschnitten und mit ihrem Astrologiebuch aufgepeppt hatte.
Dann fuhren Oliver Lambrecht und Silke Schmitter zurück. Den Streifenwagen stellten sie am Rand der Landstraße ab und kämpften sich durch anhaltendes Schneegestöber diesmal beide den Berg hinauf, um sich das Haus anzusehen, aus dessen Küchenfenster Marlene gestiegen war.
Dass es einer gewissen Gerdamarie Ammer gehörte, hatten auch sie von Ulla erfahren. Durch Zugriff auf die Daten der Meldebehörde waren sie jedoch etwas klüger als Ulla. Ihnen war auch bekannt, dass Gerdamarie Ammer neunundfünfzig Jahre alt war und einen fünfunddreißigjährigen Sohn mit Namen Gerd hatte, der ebenfalls unter der Adresse Flurstück drei gemeldet war.
Mit Gerd Ammer hätte Lambrecht sich gerne unterhalten. Ihn gefragt, wo er am vergangenen Nachmittag zwischen fünfzehn und siebzehn Uhr gewesen war. Auf sein Klopfen an der Haustür reagierte niemand. Eine Klingel gab es nicht. Das Küchenfenster war noch so, wie Marlene es zurückgelassen hatte.
Silke Schmitter blieb zur Sicherheit draußen. Lambrecht stieg ein und kontrollierte das Häuschen einschließlich des Kellers. Er traf niemanden an und entdeckte keine Hinweise auf ein Verbrechen. Alles sah normal und ordentlich aus, wennman von der langen Bahn aus Veloursstoff absah, die Marlene auf dem Fußboden im Schlafzimmer
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