Der Frauenjäger
misshandelt worden?» Er wollte offenbar wissen, ob sie vergewaltigt worden war, und scheute sich, es so direkt auszusprechen.
«Nein, nur meine Knie sind kaputt», gab sie Auskunft. «Aber ich habe sie verbunden. Und zweimal bin ich auf den Arm gefallen, der tut noch weh, wenn ich ihn bewege.»
«Der Weg mündet auf eine Landstraße nahe dem Ortseingang», erklärte Lambrecht daraufhin. «Wenn Sie diese Straße erreichen, ehe wir bei Ihnen sind, gehen Sie nicht weiter. Suchen Sie Deckung.» Anschließend wollte er wie Ulla alles von ihr wissen, was ihr vom gestrigen Nachmittag im Gedächtnis war. Ihr Aufenthalt in der Höhle schien ihn nicht sonderlich zu interessieren.
Natürlich erzählte sie hauptsächlich davon, weil es zum Donnerstagnachmittag nicht viel zu sagen gab. Während sie berichtete, wurde die Verbindung schwächer und brach zusammen, ehe sie erwähnen konnte, dass sie aus der Höhle in einen Gang mit Computern gelangt war. Deshalb erfuhr Polizeikommissar Lambrecht nichts von der getarnten Tür in dem alten Vorratskeller, durch die man in den Überwachungsbereich gelangte. Ebenso wenig hörte er, dass sie vier DVDs bei sich hatte und auf einer davon eine Frau zu sehen war, die seit Wochen vermisst wurde.
In dem wirren und unvollständigen Bericht sah Lambrecht nicht unbedingt einen bedrohlichen Aspekt. Ihm daraus einen Vorwurf zu machen wäre unfair. Zusammen mit Ullas knappen Auskünften ergab sich für ihn folgendes Bild: Eine Frau bringt einen guten Bekannten ins Marienhospital. Um sich die lange Wartezeit zu vertreiben, will sie im Zentrum von Euskirchen irgendwoeinen Kaffee trinken. – Das zumindest erzählt sie einer Freundin. Das muss aber nicht unbedingt stimmen. Vielleicht hatte sie noch eine Verabredung gehabt.
Dann erwacht sie angeblich an einem unwirtlichen Ort. Sie ist weder misshandelt noch gefesselt worden. Nach einer Odyssee durch eine stockfinstre Höhle, in der es fürchterlich stinkt und Knochen herumliegen, gelangt sie in ein Haus, in dem sich niemand aufhält, aber ein funktionstüchtiges Telefon steht, das sogar seine Nummer überträgt.
Da klang der Teil mit der Höhle nach dem, was Ulla im ersten Moment vermutet hatte.
«Hast du gekifft oder sonst was genommen?»
Irgendein Rauschmittel und ein Horrortrip, das nahm auch Oliver Lambrechts Kollegin Silke Schmitter an, die mitgehört hatte. Nicht jeder sah die Welt in schillernd bunten Farben, wenn er – oder sie – an einem Joint gezogen oder ein Pillchen eingeworfen hatte. Und eine Frau unter Drogeneinfluss ließ man nicht auf einer vielbefahrenen Landstraße herumlaufen. Nur aus dem Grund hatte Lambrecht ihr geraten, bei Erreichen der Straße Deckung zu suchen.
Sie stapfte weiter, bis eine halbe Stunde später ein Schemen vor ihr auftauchte. Da erschrak sie, erinnerte sich an zwei Dutzend Thriller, in denen das Opfer auf der Flucht seinem Peiniger wieder in die Arme lief. Aber es war nicht Andreas, der ihr entgegenkam.
Andreas Jäger lag zu diesem Zeitpunkt in einem Mehrbettzimmer des Marienhospitals in Euskirchen. Er hatte am vergangenen Nachmittag im Wartebereich der Ambulanz einen Magendurchbruch erlitten. Eine Operation hatte sein Leben gerettet.
Die Nacht hatte er auf der Intensivstation verbracht. Im Laufe des Vormittags hatte sich sein Zustand so weit stabilisiert,dass man ihn in das Mehrbettzimmer verlegen konnte. Eine Krankenschwester, die seine Kleidung in einen Schrank räumte und nach Hinweisen auf Personen suchte, die man verständigen müsste, entdeckte in einer Jackentasche einen Zettel mit einer Adresse, einer Handynummer und dem Namen Steffi.
Andreas war sehr geschwächt und stand unter dem Einfluss starker Medikamente. Auf die Frage, ob Steffi eine Angehörige oder eine Freundin sei, nickte er nur. Daraufhin rief die Schwester seine älteste Tochter an. Stefanie informierte umgehend ihre Mutter, die ihrerseits Annette ins Bild setzte, ehe sie sich in ihrem alten Ford Escort ohne Winterreifen auf den Weg nach Euskirchen machte. An Ulla dachte niemand.
Karola dachte auch nicht daran, bei Marlene anzurufen. Nach den Horrorgeschichten, die sie vor einer Woche zu dem höllisch scharfen Gulasch serviert hatte, wäre ihr das peinlich gewesen. Wie hätte sie Marlene denn erklären sollen, was sie so eilig zu dem Mann zog, der sie fürs erste Mal in einen Ameisenhaufen gelegt und ein andermal an den Kühlergrill seines uralten Jeeps gefesselt, der sie betrogen und schließlich verlassen hatte? Sie
Weitere Kostenlose Bücher