Der Frauenjäger
die sie noch häufig gemeinsam einnahmen.
Anfang 2002 hatte Werner sich als Unternehmensberater selbständig gemacht. Seitdem saßen sie nicht mehr oft zusammen am Tisch. Matthias Kranichs zweite Pleite hatte ihn auf die Idee gebracht, dass eine solche Tätigkeit Zukunft hätte. Das entsprechende Know-how hatte er sich zuvor größtenteils im Kreditwesen angeeignet. Er wusste jedenfalls genug über solide Finanzierungen, Fördermittel, Bedarfsrechnungen und Marktstrategien, um es zu wagen. Begann als Einmannunternehmen mit einem Büro im Keller. Mittlerweile unterhielt er eine Büroetage in Köln-Weiden und beschäftigte sieben Leute, von denen drei europaweit im Einsatz waren, die anderen hielten in Köln die Fäden zusammen.
Wie hoch sein letztes Jahreseinkommen gewesen war, wusste Marlene nicht, wie sie vieles nicht wusste, was die geschäftlichen Belange ihres Mannes betraf. Aber niedriger als das Einkommendes Vorjahres konnte es kaum gewesen sein, sonst hätte er nicht die Summe um zweihundert Euro erhöht, die er ihr monatlich für den Haushalt und persönliche Bedürfnisse auf ihr Konto überweisen ließ.
Beim Frühstück erfuhr sie, dass Werner die gestern Abend zusammengestellten Unterlagen noch aus dem Büro holen und dann zum Flughafen musste. Ein neuer Kunde in Straßburg. Das erste Gespräch führte er immer persönlich und allein, damit nicht der Eindruck einer Übermacht entstand. Wann er zurückkam, konnte er nicht sagen. Seine Sekretärin hatte zwar wie üblich einen späten Flug für ihn gebucht, aber sicherheitshalber auch ein Hotelzimmer reserviert.
Um Viertel nach sieben ging Werner zur Garage. Um halb acht folgten die Kinder seinem Beispiel, schwangen sich trotz der vereisten Schneedecke auf ihre Räder und machten sich auf den Weg zur Schule. Johanna und Leonard hießen sie – nach Marlenes Eltern. Werner hatte die Namen vorgeschlagen, zu seinen Eltern hatte er keinen so guten Draht.
Ob er enttäuscht gewesen war, als die Natur vor siebzehn Jahren seine Pläne ignorierte und ihnen zuerst die Tochter bescherte, wusste Marlene nicht. Er hatte nie etwas gesagt. Aber er hatte sich auch nicht ein zweites Mal von der Natur ins Handwerk pfuschen lassen.
Anlässlich der Krabbelkinderparty zu Johannas erstem Geburtstag hörte er von Karola, das Geschlecht des Kindes hinge vom Zeitpunkt der Zeugung ab. Der Einfachheit halber unterteilte Karola männliche Samenzellen in Männlein und Weiblein. Die Männlein seien schnell, dozierte sie, folglich zuerst am Ort des Geschehens. Aber sie seien kurzlebiger als die Weiblein, sodass ein Verkehr vor dem Eisprung mit Sicherheit zu einer Tochter führe. Erst nach dem Eisprung würden mit hoher Wahrscheinlichkeit Söhne gezeugt – vorausgesetzt, dasScheidenmilieu stimme, wenn nicht, gab es prinzipiell nur Mädchen.
Karola bezog derartige Weisheiten aus den Illustrierten, die sie seit ihrer Hochzeit stapelweise studierte. Und normalerweise belächelte Werner ihre Ansichten. Doch bei dieser Sache meinte er, man könne es ja mal probieren. Zwei Monate lang musste Marlene ihre Temperatur messen – jeden Morgen vor dem Aufstehen, um den leichten Anstieg zu registrieren und den richtigen Zeitpunkt für die Zeugung eines Jungen exakt bestimmen zu können. Es war lästig, führte aber zum Erfolg. Zwei Jahre nach Johanna kam Leonard zur Welt.
Nun war ihr Sohn schon fünfzehn, fast eins achtzig groß, schlaksig, sportlich, ein begeisterter Fußballspieler und Werner wie aus dem Gesicht geschnitten, was bereits zu Schwärmereien unter Mitschülerinnen führte. Aber die kümmerten Leonard noch nicht. Er konzentrierte sich lieber auf den Sportverein und die Schule. Selbstverständlich besuchte er das Tagesheimgymnasium wie seine Schwester und deren Freundinnen. Die Begabung für Mathematik und Fremdsprachen hatte er ebenso von Werner geerbt wie das handwerkliche Geschick, das Gespür für Zusammenhänge und die Geduld für knifflige Arbeiten.
Sein Freundeskreis setzte sich aus sportlichen Musterschülern zusammen. Ullas Sohn gehörte nicht dazu, aber der war ja auch zwei Jahre älter. Beim Beruf schwankte Leonard noch zwischen Sporttrainer und Informatiker. Werner war überzeugt, dass sein Sohn sich innerhalb der nächsten beiden Jahre für Unternehmensberatung entschied und ein Wirtschaftsstudium anstreben würde.
Nur mit der von Werner so hochgeschätzten Ordnung haperte es bei Leonard noch ein wenig. Manchmal warf er getragene Socken neben den Wäschekorb
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