Der Frauenjäger
weniger geeignet und kaum erschwinglich.
Nicht nur Ullas Erbe war zum Teufel. Matthias hatte zudem ohne ihr Wissen und gegen Werners Rat Kredite aufgenommen. Er stand vor einem Schuldenberg, den Ulla nicht mit ihm abtragen wollte. Was sie letztendlich doch tat, weil sie ihn eben liebte und zum zweiten Mal schwanger war.
Notgedrungen kehrte Ulla mit Sack und Pack zurück ins Elternhaus und kam durch Vermittlung von Andreas Jäger zu dem Vollzeitjob, mit dem sie seitdem den Lebensunterhalt ihrer Familie bestritt. Zu der Zeit war Karolas Mann ja noch im Lande und besaß als Leiter der Fertigungsabteilung bei Scheidweber & Co genug Einfluss, um Ulla trotz ihrer Schwangerschaft als Schreibkraft in der Kundenbetreuung unterzubringen, wo sie nach der Geburt ihrer Tochter noch gut ein Jahr blieb, ehe sie zu Andreas in die Fertigungsabteilung wechselte.
Ullas Mutter kümmerte sich um die beiden Kinder. Matthias bewarb sich nach Androhung der Scheidung im Einkaufscenter und bekam die Stelle in der Herrenabteilung. Das entsprach zwar nicht seinen Erwartungen ans Leben, keine nennenswerten Aufstiegschancen und keine glamouröse Kundschaft. Aber er verdiente wenigstens und konnte damit den Banken seinen guten Willen demonstrieren.
Ulla arbeitete sich bei Scheidweber & Co mit Fleiß und Energie hoch – von der Schreibkraft zur Sekretärin. Nachdem Andreas verschwunden war, stieg Ulla zur inoffiziellen Leiterin der Fertigungsabteilung auf. Der Ingenieur, den man als Ersatz für Andreas eingestellt hatte, wusste von Landmaschinenbau kaum mehr als Marlene. Die meiste Zeit war Ulla damit beschäftigt, die Entscheidungen und Anweisungen ihres offiziellen Vorgesetzten diplomatisch zu korrigieren. Der Geschäftsleitungwar das sehr wohl bekannt, was sich auf Ullas Gehaltsabrechnungen niederschlug.
In den letzten Jahren war Ulla mit ihrer Situation eigentlich ganz zufrieden gewesen, hatte sich nur oft Sorgen um ihren Sohn gemacht. Thomas Kranich war im selben Alter wie Marlenes Älteste, Karolas Jüngste und Annettes Einzige. Wie damals ihre Mütter waren die vier Kinder gemeinsam eingeschult worden. Und die drei Mädchen waren ein ebenso verschworenes Grüppchen.
Es wäre Ulla lieb gewesen, sie hätten Thomas nicht ausgeschlossen. Solange sie noch klein gewesen waren, hatten sie unbefangen miteinander gespielt. Nach der Einschulung änderte sich das, und das lag nicht an den Mädchen. Thomas umgab sich nun lieber mit rüpelhaften Geschlechtsgenossen. Im Unterricht haperte es bei ihm an allen Ecken und Enden. Aber wie man Zigaretten rauchte und mit Tintenpatronen spritzte, wusste er schon mit acht Jahren.
Die Mädchen wechselten nach der vierten Grundschulklasse aufs Tagesheimgymnasium, bei Thomas reichte es bloß für die Hauptschule. Den Abschluss dort hatte er im vergangenen Jahr auch nur mit Hängen und Würgen geschafft. Mit einem Zeugnis, das Ulla als katastrophal bezeichnete, hatte er sich bei einigen Handwerksbetrieben beworben. Vergebens. Doch das störte ihn nicht, er lungerte lieber mit anderen Nichtsnutzen herum.
Im September hatte Ulla ihn dann doch noch untergebracht – bei Scheidweber & Co –, allerdings nur, weil ein anderer sich doppelt beworben hatte und den Platz nicht in Anspruch nahm. Ersatzweise sollte nun Thomas Kranich zum Maschinenschlosser ausgebildet werden.
Bei ihrer Geburtstagsfeier am vergangenen Samstag hatte Ulla noch zu Marlene gesagt: «Wenn ich so zurückblicke, war die zweite Pleite das Beste, was mir passieren konnte. Sonstsäße ich vielleicht immer noch halbtags im Autohaus Hilscher oder stünde mit Matthias im eigenen Laden und bekäme graue Haare, weil ich nicht wüsste, wo und mit wem unserer Filius sich herumtreibt. Ich habe drei Kreuzzeichen gemacht, als Herr Scheidweber sich bereit erklärte, Thomas eine Chance zu geben. Die Arbeit macht ihm Spaß, glaube ich. Er ist jedenfalls mit Feuereifer bei der Sache.»
Doch als dürfe die Ärmste einfach keinen Lichtstreif am Horizont sehen, nahm Thomas am Sonntagabend ihren Autoschlüssel, um mit drei seiner nichtsnutzigen Kumpels eine Spritztour zu machen. Nicht die erste, bisher war er nur erst einmal von der Polizei erwischt worden. Da hatte es eine eindringliche Ermahnung gegeben. So glimpflich kam er diesmal nicht davon.
Wegen der Witterungs- und Straßenverhältnisse herrschte so gut wie kein Verkehr. Wer nicht unbedingt fahren musste, blieb daheim. Ullas Sohn nutzte die freien Straßen auf seine Weise, raste mit schätzungsweise
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