Der Frauenjäger
Versicherung Wind davon bekommt, treten sie zwar in Vorleistung, aber sie werden Ulla in Regress nehmen. Als Fahrzeughalterin bist du verpflichtet, den Schlüssel sicher zu verwahren, wenn du so einen Freak im Haus hast. Ulla hat immer aufgepasst. Aber Matthias war nachmittags mit dem Auto unterwegs. Als er zurückkam, hat er den Schlüssel auf die Garderobe gelegt. Nicht etwa aus Schusseligkeit, das war Absicht. Kannst du dir das vorstellen? Man müsse doch dem eigenen Kind vertrauen können, meinte er. Du siehst ja, was dabei rausgekommen ist.»
«Ja», sagte Marlene. «Ullas Mutter hat mir am Montag schon erzählt, dass Matthias das Debakel verschuldet hat. Was ist denn mit den anderen? Thomas war doch mit Freunden unterwegs.»
«Zum Glück nicht», antwortete Annette. «Er war auf dem Weg, wollte drei Jungs abholen, hatte aber noch keinen eingeladen.»
«Und wie kommt Ulla jetzt zur Arbeit?», fragte Marlene.
«Wie in alten Zeiten», sagte Annette. «Mit dem Rad. Ihr altes ist nicht mehr verkehrstauglich, aber der Tölpel braucht seins in den nächsten Wochen ja nicht.»
Nachdem sie aufgelegt hatte, räumte Marlene den Frühstückstisch ab, ging unter die Dusche, zog danach eine alte Jeans und ein einfaches Shirt an und griff zum Putzzeug. Vor Jahren hatte Werner eine Putzfrau anheuern wollen, das hatte sie ihm zum Glück ausreden können.
Sie wischte die beiden Bäder, die Kinder hatten ihr eigenes, mussten sich nur abstimmen, wer morgens als Erster reindurfte. Gerangel oder Zankerei darum gab es so gut wie nie.
Danach machte sie die Betten, wischte Staub, obwohl praktisch keiner zu sehen war. Die Böden waren auch tadellos. Sie hatte dienstags gründlich gewischt, gesaugt, die Küchenschränke ausgewaschen und die Betten frisch bezogen, um sich vonUllas neuer Tragödie und der Verpflichtung, ihr etwas Tröstliches sagen zu müssen, abzulenken. Natürlich hatte sie die abgezogene Bettwäsche auch sofort gewaschen und getrocknet. Die lag längst wieder im Schrank. Es rächte sich wirklich alles im Leben, jetzt war es nicht mal neun Uhr, und sie hatte nichts mehr zu tun.
Früher war jeder Tag zu kurz gewesen. Die Kinder, der Haushalt und die Stunden mit den anderen. Nach den Geburten von Kirsten Barlow, Thomas Kranich, Johanna und Julia Jäger war das gemeinsame Frühstück mit Annette, Ulla und Karola für Marlene zur festen Größe geworden und hatte stets den ganzen Vormittag beansprucht.
Sie hatten sich wechselseitig besucht mit frischen Brötchen. Die jeweils betroffene Küche hatte sich binnen weniger Minuten in ein Schlachtfeld verwandelt. Der Fußboden bedeckt mit Kuscheldecken, Plüschtieren, Rasseln, Schnullern und Babys. Später waren es Bausteine, Puppen, Autos, Plüschtiere, Kekse und Krabbelkinder. Als die laufen konnten, kam Baby Leonard dazu. Dazwischen die kleine Stefanie, die mit fünf Jahren so aussah wie eine zierliche Zweijährige und mit sieben Jahren nicht viel älter. Ihren ersten Schulranzen zog sie auf einem kleinen Bollerwagen.
Am Tisch vier junge Frauen, manchmal nur drei. Karola konnte nicht immer, musste sich häufig um ihre Eltern kümmern. Dabei war es ein offenes Geheimnis, dass Karola ihre Eltern nur besuchte, um sich bei denen auszuweinen. Im Kreis ihrer Freundinnen tat sie das nicht, da schimpfte sie nur wechselweise auf Andreas oder ihre Schwiegermutter, die sich einbildete, Schwiegertöchter seien Sklavinnen. «Die tut keinen Handschlag mehr, fehlt nur noch, dass sie verlangt, ich soll ihr morgens den Kaffee ans Bett bringen oder den Hintern abwischen.»
Über Gott und die Welt, Nagelhärter und Höschenwindeln,Weichspüler, Auflaufrezepte und die Qualität von Grillwürstchen hatten sie diskutiert, natürlich auch über ihre Männer gesprochen. Über die hochfliegenden Pläne von Matthias, an deren Verwirklichung Ulla damals noch glaubte. Über den ungebrochenen Humor von Christoph, in dem Annette erste Elemente von Sarkasmus entdeckte. Über die Nächte, die Andreas lieber im alten Jeep auf irgendeiner Straße als daheim verbrachte, über die Anhalterinnen, mit denen er sich amüsierte, während Karola ihre Töchter hütete und sich von seiner Mutter tyrannisieren lassen musste. Die ließ sich übrigens nie blicken, wenn sie alle zusammen in Karolas Küche saßen. Es war ihr zu laut mit all den kleinen Kindern.
Wenn Karola dabeisaß, war Andreas immer ein Mann ohne Verantwortungsgefühl. Fehlte Karola, waren sie einhellig der Meinung, sie sei nicht völlig frei
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