Der Frauenjäger
Schlafzimmer wieder mal saukalt war.
Kurz vor Weihnachten hatte er entschieden, auf das neue Doppelbett gehöre eine große Daunendecke für zwei statt wie bisher zwei Decken in Einzelbettgröße. «Wie in alten Zeiten», hatte er gesagt, um ihr die Sache schmackhaft zu machen. «Wir beide unter einer Decke.»
Damit hatte er sie an die ersten Monate ihrer Ehe erinnert, als ihr Haus gebaut worden war. In der Zeit hatten sie die Schlafcouch in seinem möblierten Zimmer miteinander geteilt, eng aneinandergeschmiegt.
So schliefen sie längst nicht mehr. Mit ihren Schlafproblemen hätte Marlene das gar nicht mehr gekonnt. Sie brauchte nachts ihren Platz, um sich von einer Seite auf die andere zu drehen und irgendwann aufstehen zu können, ohne jedes Malbefürchten zu müssen, dass Werner aufwachte. Und er wusste gar nicht, wie oft er die Decke seitdem zu sich hinübergezogen und sich darin einwickelt hatte, bis sie bibbernd um ihren Teil zu kämpfen begann.
Wenn es draußen erst wieder wärmer wurde, war sie ihm vielleicht dankbar für das, was Annette neulich als typisch männlichen Egoismus bezeichnet hatte, der nur nachts zum Vorschein kam, wenn Werner nicht die absolute Kontrolle über sich und sein Verhalten hatte.
Draußen herrschten seit Tagen Minustemperaturen. Nachts fiel das Thermometer bis zehn Grad unter null. Und Werner konnte nur bei offenem Fenster schlafen. Wenn er aus beruflichen Gründen in Hotels übernachten musste, was häufig der Fall war, quartierte er sich lieber in einem Vorort ein und nahm lange Anfahrtswege zu den Gesprächspartnern in Kauf, als dass er eine verkehrsreiche Straße, stark frequentierte Lokale in der Nähe oder nicht zu öffnende Fenster akzeptiert hätte. Mochte die Klimaanlage noch so geräuscharm arbeiten, Werner brauchte nachts seine Ruhe und frische Luft, auch wenn die Temperaturen draußen weit unter dem Gefrierpunkt lagen.
Wären die scheußlichen Kopfschmerzen nicht gewesen und der Druck im Magen nicht, der sich allmählich in Übelkeit verwandelte, hätte sie wohl einen Arm ausgestreckt und nach der Decke getastet, um so lange daran zu zerren, bis Werner wach genug war, ihr freiwillig die Hälfte zu überlassen und sich zu entschuldigen. Dann hätte sie bestimmt auch früher begriffen, dass ihr diesmal aus einem ganz anderen Grund so erbärmlich kalt war.
Aber sie befürchtete, dass ihr Magen bei der geringsten Bewegung seinen Inhalt im ganzen Schlafzimmer verteilen könnte. Davon abgesehen, wusste sie nicht, wo ihre Arme und Beine lagen. Sie war so desorientiert, dass sie nicht einmal hätte sagenkönnen, ob sie auf der linken oder der rechten Seite lag oder ausgestreckt auf dem Rücken.
Die Luft roch anders, als Werner sie zum Schlafen brauchte, nicht frisch, sondern dumpf, irgendwie erdig und so trocken, dass ihre Nasenschleimhäute genauso spannten wie die spröden, eingerissenen Lippen. Das registrierte sie ebenso wie das unangenehme Piksen und Stechen an der rechten Hüfte, unter der linken Schulter und an drei Dutzend anderen Stellen.
Doch sie war noch lange nicht so weit, sich Gedanken über den ungewohnten Geruch zu machen oder ihre körperlichen Empfindungen als alarmierend zu werten. Es tat einfach nur weh, war lästig und störend und verhinderte, dass sie nochmal einschlief. Was sie sich aber auch nicht mehr leisten konnte, weil sich – wie sie meinte – Werners Radiowecker bereits eingeschaltet hatte.
Karola und Andreas
Im Juni 1989 hatten sie geheiratet – Marlene und Werner Weißkirchen, Ulla und Matthias Kranich, Annette und Christoph Barlow –, gleichzeitig, vormittags auf dem Standesamt, nachmittags in der Kirche. Eine herzergreifende Angelegenheit, die in der Stadt für viel Aufsehen sorgte und nicht nur Karola zu Tränen rührte.
Karola war damals aus der Reihe getanzt oder vorgeprescht, wie sie selbst es ausdrückte. Weil sich Nachwuchs ankündigte, hatten sie und Andreas schon sieben Monate nach dem bewussten Abend in der Kölner Diskothek geheiratet, nur standesamtlich.
Zwei Jahre später vergoss Karola dann wahre Sturzbäche, weil sie mit ihrer kleinen Stefanie auf dem Schoß neben Andreasin einer Kirchenbank saß, statt ganz in Weiß mit ihren Freundinnen – und möglichst neben Werner – vor dem Altar zu stehen.
Aber wie oft hatte Marlene vorher von ihr gehört: «Wie du es mit Werner aushältst, verstehe ich nicht. Bei dem würde ich Schreikrämpfe bekommen. Man kann doch nicht das ganze Leben berechnen und für alle
Weitere Kostenlose Bücher