Der Frauenjäger
von Schuld an der Misere. Man durfte einem Mann seine Träume nicht so rigoros beschneiden, wie Karola es getan hatte. Ihre Schwiegermutter mochte zu faul sein, um sich selber das Frühstück zu machen, und zu inkompetent, um zwei kleine Mädchen zu versorgen. Aber für ein paar Urlaubswochen in der Sahara oder sonst wo hätten sich auch Karolas Eltern um die Kinder kümmern können. Wahrscheinlich hätten die das sogar gerne getan. Aber nein! Karola hockte wie eine Glucke auf ihren Eiern, da mochte der Gockel krähen und andere Hühner besteigen, so viele er wollte.
Über Werner gab es nie viel zu sagen. Manchmal hatte Marlene das Gefühl, die anderen lauerten auf eine Blöße, eine Schwäche, irgendeinen Fehler, aber Werner machte keinen. Annette bezeichnete ihn einmal als analfixiert und brachte sie damit in arge Verlegenheit, weil sie eine sexuelle Bedeutung hinter dem Begriff vermutete. Als sie verhalten protestierte, erklärte Ulla, es habe nur etwas mit Ordnungsliebe zu tun.
Und Karola fügte hinzu: «Wenn du ihr schon erklärst, was es heißt, dann sag auch alles. Spannend wird es ja erst, wenndie Ordnung durcheinandergerät. Dann verwandelt sich so ein Musterexemplar nämlich ziemlich schnell in eine tickende Zeitbombe.» Gleich anschließend lachte Karola jedoch und sagte: «Keine Bange, Herzchen, aus mir spricht der blanke Neid.»
Und irgendwann hatte dann eine von ihnen auf die Uhr geschaut und gesagt: «Um Gottes willen, es ist ja schon fast zwölf. Ich muss noch dies und das und jenes.»
Karola, Annette und Ulla mussten immer noch, vielmehr wieder. Und für sie tat unverändert Werner, was er tun konnte. Sie hatte eben den Absprung verpasst, nie den richtigen Zeitpunkt für eine Veränderung gesehen. Sie hatte auch nicht gewusst, was sie hätte tun können, als die Kinder dem Alter entwachsen waren, in dem man stets und ständig für sie da sein musste. Zurück in den erlernten Beruf? Ohne P C-Kenntnis se ? Mit eingerostetem Schulenglisch als einziger Fremdsprache? Wer hätte sie denn eingestellt? Und schon beim Gedanken an ein Bewerbungsschreiben hatte sie blutige Rehaugen vor sich gesehen und verzweifelte alte Damen weinen hören.
Still für sich spielte sie hin und wieder mit dem Gedanken an ein drittes Kind, ein Nesthäkchen, das sie noch geraume Zeit beschäftigen würde. Zu alt dafür war sie mit ihren zweiundvierzig wohl kaum, andere bekamen in dem Alter das erste Kind. Einer weiteren Schwangerschaft hatte Werner zwar einen Riegel vorgeschoben. Zwei Monate nach Leonards Geburt war er dem Beispiel von Andreas gefolgt und hatte sich sterilisieren lassen, damit sie nicht ihr halbes Leben lang Chemie schlucken musste und es keine Pannen mit anderen Verhütungsmitteln gab wie später bei Ulla und Matthias. Aber es gab auch Pannen nach Sterilisationen. Bei Männern nicht so häufig wie bei Frauen. Doch vor einigen Jahren hatte Karola einen Artikel im
Stern
entdeckt, in dem etliche Beispiele aufgeführt waren, bei denen die Natur auf wundersame Weise wieder zusammengefügt hatte, was von einem Skalpell durchtrennt worden war.
Als sie den Wäschekorb in Leonards Zimmer kontrollierte, um festzustellen, ob es sich eventuell lohnte, die Waschmaschine zu füllen, entdeckte sie obenauf eine Sportsocke mit einer dünnen Stelle an der Ferse. Sie lag so, dass man durchaus eine Absicht dahinter vermuten konnte.
Die Sportsocken sahen alle gleich aus, man konnte Paare beliebig zusammenstellen und musste nicht zwei wegwerfen, wenn eine kaputt war. Wahrscheinlich war Leonard nicht sicher gewesen, ob er diese Socke noch einmal tragen oder wegwerfen sollte. Wer wollte schon solch eine Entscheidung treffen, wenn Papa gerne erzählte, wie Mama und er früher gelebt hatten? Mit Luftmatratze, Schlafsack und Campingkocher in den Keller des Rohbaus gezogen, um die Miete fürs möblierte Zimmer zu sparen.
Marlene nahm die Socke mit in die Küche und kramte das verkratzte und angesengte Stopfei ihrer verstorbenen Großmutter aus dem Nähkästchen. Das Kästchen war ein Hochzeitsgeschenk von der anderen Großmutter, die lebte noch. Gefüllt mit allerlei Materialien, fand sich sogar ein passendes, wenn auch mit den Jahren vergrautes Garn.
Als Kind hatte sie ihrer Mutter mehr als einmal beim Stopfen von Arbeitssocken zugeschaut. Wie es ging, wusste sie, aber sie brauchte fast eine Dreiviertelstunde, um die dünne Stelle mit einem Geflecht aus Fäden zu überziehen. Es sah aus wie ein Gitter. Sie stopfte die Socke in
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