Der Frauenjäger
polizeilicher Aktivitäten, die harmlose Bürger den geruhsamen Feierabend kosteten, während Schwerkriminelle und Psychopathen sich ins Fäustchen lachten.
Kurz darauf verabschiedete sich Heidrun Merz. Annette begleitete sie hinaus. Marlene nutzte die Zeit, um sich bei Karola zu erkundigen, ob mittags wirklich ein bedrohlicher Anruf im Sender eingegangen war, wie vor Beginn der Lesung behauptet.
«Was denkt ihr eigentlich von mir?» Karola war beleidigt. «Meint ihr, ich erfinde so etwas, um mich wichtigzumachen?»
«Deine Sekretärin war erfunden», wandte Marlene ein und schielte zu Karolas Töchtern hinüber. Es war ihr unangenehm, in Gegenwart der beiden auszusprechen, dass man
Mutti
längst nicht alles glauben durfte. Aber die Schwestern unterhielten sich angeregt über das Buch, die Lesung und alles, was eben noch aufs Tapet gekommen war, vor allem über Andy, den Jäger. Kaum anzunehmen, dass sie zuhörten.
Karola kommentierte den Hinweis mit einer resignierenden Geste. «Wenn ich vorher erfahren hätte, dass Frau Merz beim WDR ist, hätte ich eine Redaktionsassistentin ins Feld geführt. Die hat den Anruf nämlich entgegengenommen. Ein Kerl, der seine Nummer unterdrückte, wollte
Killing Me Softly
hören – mit einem schönen Gruß von Mona. Nicht etwa an Mona, sondern von. Du merkst den feinen Unterschied, ja? Ich hatte kurz vorher auf die Lesung hingewiesen. Außerdem sagte er,dass alle Weiber, die auf Kosten eines Mannes leben, unter die Erde gehören.»
«Du meinst, das war …», begann Marlene und verstummte, als Karola ihr mit einem Wink bedeutete, den Mund zu halten.
Annette kam zurück und bat den Kellner um die Rechnung für sich und ihren Gast. Marlene beglich den Rest und übernahm auch das Trinkgeld.
Draußen vor der Tür entschuldigte Annette sich: «Tut mir leid, ich weiß, dass ich dich eingeladen hatte. Aber das konnte ich nicht machen, wo Karola dabeisaß. Ich hoffe, du verstehst das.»
Natürlich verstand Marlene es. Aber dass Karola unter diesen Voraussetzungen am nächsten Vormittag eine weitere Buchbesprechung in ihre Sendung einbaute und dabei auf
Annettes Bücherstube
hinwies, musste bezweifelt werden.
Noch vor zehn war Marlene wieder daheim. Die Kinder waren schon zu Bett gegangen. Auf dem Küchenblock hatte Johanna eine Nachricht von Werner notiert. Er hatte um Viertel vor neun vom Flughafen aus angerufen und von seiner Tochter gehört, Mama sei Annettes Einladung zum Essen gefolgt. Daraufhin war er nochmal ins Büro gefahren.
Dort war wie immer um die Zeit der Anrufbeantworter eingeschaltet. Das tat Werners Sekretärin automatisch, wenn sie Feierabend machte. Aber nun erreichte Marlene ihn auf seinem Handy. Er freute sich, dass sie einen unterhaltsamen Abend gehabt hatte. Ihm waren im Flieger ein paar wichtige Aspekte für das nächste Gespräch mit dem Straßburger Kunden eingefallen, die er unbedingt heute noch hatte ausarbeiten wollen, weil es morgen mit der Zeit zu knapp war.
«Aber ich hab’s gleich», sagte er. «Dann mache ich mich auf den Heimweg. Geh nur schon zu Bett, wenn du müde bist.»
«Das hatte ich vor», sagte sie.
Obwohl sie begierig war, sich einen Eindruck von abartigen Spielchen zu verschaffen, nahm sie sich im Bad die notwendige Zeit für die Zahn- und Gesichtspflege, ehe sie mit
Monas Tagebuch
unter die breite Daunendecke schlüpfte. Sie war zu müde, um Satz für Satz zu lesen. Und beim Durchblättern fand sie weder die Raststättenepisode noch die Sache auf der Autobahn.
Auf Seite hundertzweiundsechzig, die Fischer angesprochen hatte, war von einem technischen Labor die Rede, in dem die Tonbandkassette mit Monas Gestammel auf Hintergrundgeräusche untersucht werden sollte. Von einem Ergebnis stand auf den folgenden Seiten aber nichts. Da ging es nur um das Verhalten der Polizei.
Statt den Kerl zu suchen, der Mona zum Verhängnis geworden war, hatten die Beamten Josch Thalmann mit unverschämten Fragen belästigt. Was die Polizei von ihm hatte wissen wollen, war nicht angeführt. Doch nach den Einwürfen des freiberuflichen Journalisten konnte Marlene sich das denken.
Sie waren doch kurz vorher selbst in Madrid, Herr Thalmann. Haben Sie dort etwas zur Post gebracht? Ihre Schwägerin arbeitet für den WDR, da hat sie doch garantiert Zugang zu einem Tonstudio, in dem man so ein Band produzieren könnte.
Die folgenden Passagen, in denen Heidrun Merz ihrem Ärger über vermeintlich anmaßende und untätige Kriminalbeamte Luft machte,
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