Der Frauenjäger
Frau Jäger. Als sie sich mit ihm einließ, war sie lebensmüde. Und wir haben es nicht bemerkt. Manchmal wirkte sie zwar ein wenig bedrückt, doch das erklärte sich meist mit alltäglichen Widrigkeiten. In den letzten Wochen dagegen war sie heiter, manchmal fast überdreht, vor allem, wenn sie
Andy
erwähnte. Da dachte ich noch, dieses Schwein sei die richtige Medizin für sie.»
Das war ein Widerspruch, fand Marlene. Wenn HeidrunMerz nicht gemerkt hatte, wie depressiv ihre Schwester war, wenn Mona nur manchmal ein wenig bedrückt gewirkt hatte – eine Frau, die wegen alltäglicher Widrigkeiten schlechte Laune hatte, brauchte nicht unbedingt Medizin.
Karola griff das Schimpfwort auf und kam noch einmal auf den Punkt zurück, der ihr besonders am Herzen lag. Es stand doch wohl außer Frage, dass man dem Schwein das Handwerk legen musste. Damit es nicht einseitig wurde und nicht gar so sehr nach Werbung fürs Buch aussah, wollte sie jemanden von der Polizei zu einer Diskussion bitten. «Den hiesigen Pressesprecher bekomme ich garantiert ins Studio», gab sie sich zuversichtlich.
Heidrun Merz verpasste ihr lächelnd den nächsten Dämpfer: «Und worüber soll ich mit ihm diskutieren, Frau Jäger? Über Ihren verschollenen Mann vielleicht und die Untätigkeit der örtlichen Polizei in dieser Angelegenheit?»
«Und wenn ich den zuständigen Beamten aus Düsseldorf vors Mikrophon bekomme?» Karola ließ nicht locker. Marlene kam nicht umhin, sie zu bewundern.
Heidrun Merz intensivierte ihr Lächeln. «Das sind sieben insgesamt. Düsseldorf ist ja nur für Mona zuständig. Die anderen sechs verteilen sich über ganz NRW. Es dürfte schwer sein, alle an einen Tisch zu bringen. Probieren Sie es lieber in Wiesbaden, das BKA verwaltet alle Fälle. Fragen Sie nach Thomas Scheib. Der hat übrigens diesen Stichler aus Sindorf zur Strecke gebracht. Früher saß er in der zentralen Vermisstenstelle, jetzt ist er bei der OFA – operative Fallanalyse, falls Ihnen das mehr sagt. Ich habe ihn letztes Jahr für
Wo bist du?
gewinnen können und mich im Vorfeld lange mit ihm unterhalten. Herr Scheib weiß, wie es ist, gegen Windmühlen zu kämpfen. Wenn Sie zu ihm vorstoßen und er bereit ist, Ihre Sendung zu bereichern, dürfen Sie mich anrufen. Frau Barlow hat meine Nummer.»
«Einverstanden», sagte Karola. Doch bevor sie sich ans BKA wandte, hätte sie gerne mehr über die anderen sechs Frauen erfahren und einen Blick in sämtliche Tagebücher geworfen.
So ungefähr hatte Marlene sich das bereits gedacht. Heidrun Merz winkte ab, ihr Lächeln verlor sich. «Vergessen Sie es. Die Kladden hat Josch vernichtet. Selbst wenn ich wollte, könnte ich sie Ihnen nicht aushändigen.»
«Und was ist mit den anderen Fällen?», bohrte Karola nach.
Heidrun Merz atmete tief durch, es klang frustriert. «Ich habe die Unterlagen im Büro. Wenn Ihnen so viel daran liegt, maile ich Ihnen Namen und Anschriften.»
«Das wäre toll», sagte Karola und notierte ihre private E-Mail -Adresse auf einem Bierfilz.
Der Kellner kam noch einmal an den Tisch, erkundigte sich nach ihrer Zufriedenheit und weiteren Wünschen. Heidrun Merz und Annette schüttelten die Köpfe. Marlene saß noch vor einem halbvollen Glas Apfelschorle und dem Rest einer üppigen Lachs-Lasagne, sie winkte ebenfalls ab. Karolas Jüngste bat um eine weitere Cola.
«Cola gibt es nicht mehr um diese Zeit», beschied Karola, als wäre Julia im Grundschulalter. Dann bestellte Karola sich noch einen Weißwein.
«Musst du nicht mehr fahren?», fragte Annette.
Karola winkte lässig ab. «Ein Glas Wein wird mich kaum beeinträchtigen.»
«Zwei», korrigierte Annette. «Ein Glas Sekt hast du auch schon intus und nur Sommerreifen drauf. Wenn du Stefanie und Ataman noch zurück nach Köln bringen musst, wäre ich an deiner Stelle vorsichtig. Sonst fährst du demnächst mit dem Taxi ins Studio. Christoph haben sie vorgestern angehalten. Kurz hinterm Sindorfer Kreisel standen sie.»
«Er heißt Atmajyoti», korrigierte Stefanie die Abkürzung.
«Weiß ich», sagte Annette. «Aber du willst mir doch nichtweismachen, dass du ihn jedes Mal mit vollem Namen ansprichst.»
«Ich darf ihn Darling nennen», erklärte Stefanie.
Es wurde wieder profan. Karola betrachtete ihren Kampf um eine interessante Sendung als halbwegs gewonnen und kämpfte nur noch um ihre Freiheit zu trinken, wonach ihr der Sinn stand. Annette verlor sich nach dem kurzen Disput mit Stefanie in der Betrachtung
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