Der Frauenjäger
Grönemeyer Marlene mit seinen Betrachtungen über Männer, die Geborgenheit gaben, Zärtlichkeit brauchten, heimlich weinten und am Telefon logen, aus einem kurzen, aber sehr bilderreichen Schlaf.
Ihre erneute Vorstellung von Werners Begräbnis musste irgendwann nahtlos in einen Traum von dem schrecklichen Unfall bei der Kiesgrube übergegangen sein. Nur dass keine Frau eingeklemmt in einem Autowrack gelegen hatte, sondern der Mann, der sie liebte, der seit mehr als zwanzig Jahren alles für sie tat, was in seiner Macht stand. Und sie hatte neben dem demolierten Auto gestanden und ihm beim Sterben zugesehen. Sie fühlte sich wie gerädert, als hätte sie überhaupt nicht geschlafen. Und so randvoll mit schlechtem Gewissen, dass sie den schweren Kopf kaum vom Kissen hochbrachte.
Werner lag bereits auf dem Fußboden, als wäre es ein Morgen wie jeder andere. Zwanzig Liegestütze. Er hatte kaum mehr Schlaf gehabt als sie und atmete nicht einmal schwerer als sonst.
Herbert Grönemeyer wurde von einer aktuellen Verkehrsmeldung das Wort abgeschnitten. Fußgänger auf der A 57 zwischen der Anschlussstelle Chorweiler und dem Kreuz Köln-Nord.
Sie war versucht, den Kopf zu schütteln. Idioten gab es! Man sollte es nicht glauben. Welcher vernünftige Mensch ging dennin aller Herrgottsfrühe auf der Autobahn spazieren? Wer mochte die Frau gewesen sein, mit deren Blut Werner in der Nacht heimgekommen war? Und welchen idiotischen Fehler hatte sie gemacht?
Es war trotz des vor Müdigkeit dröhnenden Schädels und des permanent schlechten Gewissens ein anderes Erwachen als sonst. Nicht gar so auf die Musik konzentriert und nicht auf einen Tag, den es irgendwie zu füllen galt. Sie hatte doch einiges zu erledigen. Als Erstes wahrscheinlich wieder Schnee schippen. Dann die Raststättenepisode und die Sache auf der Autobahn suchen und sich einen Eindruck von abartigen Spielchen verschaffen. Werners Anzug in die Reinigung bringen. Und mit Ulla reden. Heute musste sie das unbedingt tun, aber nicht am Telefon. Da wurde sie nur wieder abgeschmettert. Besser rausfahren zu Scheidweber & Co. Und wenn ihr nichts einfiel, was sie sagen könnte: Ulla nur stumm in die Arme nehmen.
Oder ihr vielleicht einfach ein neues Auto kaufen? Ein kleines würde ja reichen, um trocken und windgeschützt zur Arbeit zu kommen. So was wie der rote Knirps mit dem Siegburger Kennzeichen, den der freiberufliche Journalist gefahren hatte, gab es garantiert schon für zehntausend. Nachdem die Abwrackprämie ausgelaufen war, konnte man jeden Preis drücken. Die entsprechenden Verhandlungen könnte Werner führen und würde es bestimmt auch tun.
Nach der Warnung an die Autofahrer auf der A 57 sang Emiliana Torrini von ihrem Herzen, das wie eine Dschungeltrommel schlug. Dann kam die Werbung. Eine unsäglich nervtötende Männerstimme pries ein Müsli, das sie wegen ebendieser Stimme noch nie gekauft hatte.
Werner ging aus der Bauchlage in die Hocke. Auf zwanzig Liegestütze ließ er zwanzig Kniebeugen folgen. Dann richtete er sich wieder auf, zog die Pyjamahose stramm und nahm die Unterwäsche vom Herrendiener. Hemd, Krawatte, Sockenund der Anzug blieben vorerst noch hängen beziehungsweise liegen.
Werner verließ das Schlafzimmer. Sie hörte ihn wie üblich an die Türen der Kinder klopfen, hörte seinen munteren, fröhlichen Ton. Er klang so gut gelaunt wie immer. Wahrscheinlich wollte er die Kinder noch weniger mit dem Schrecken der Nacht belasten als sie. Oder berührte ihn einfach nicht, dass er eine sterbende Frau im Arm gehalten hatte? Schwer vorstellbar. Warum hätte er sonst überhaupt angehalten und helfen wollen?
Sie wartete nicht wie sonst die Nachrichten ab, zwang den Oberkörper in die Senkrechte, schwang die Beine aus dem Bett, tauschte den Pyjama gegen den wärmeren Hausanzug und ging nach unten.
Monas Tagebuch
nahm sie mit. Ein Blick unter den ein Stückchen weit hochgezogenen Rollladen vor dem Küchenfenster zeigte, dass Schneeschippen entfiel.
Als Werner im Bad zum Rasierer griff, lief bereits der Kaffee durch. Sie füllte vier Gläser mit Orangensaft, verteilte Geschirr, stellte alles andere dazu. Vollkornbrot für Werner und Leonard, Müsli für Johanna. Sie selbst aß so früh am Morgen nur einen Toast mit Konfitüre und trank dazu Milchkaffee.
Als um halb sieben das Küchenradio die nächsten Nachrichten brachte, saßen sie schon alle zusammen am Tisch. Und alles war wie immer. Werner lauschte auf weitere Verkehrshinweise, die für
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