Der Frauenjäger
ausgezeichnete Umgangsformen. Natürlich beschäftigte sie auch Männer. Aber der Mann, in dessen Fänge Mona geraten war, hatte keinesfalls für die Agentur gearbeitet, wie die Ermittlungen der Düsseldorfer Kripo ergeben hatten.
Den Blick fest auf Karola geheftet, erklärte Heidrun Merz: «Mona hat ihn in den Schadow Arkaden kennengelernt. Das steht fest. Sie nannte ihn Andy, ein paarmal auch den Jäger.»
Karola blieb ebenso die Spucke weg wie Heidrun Merz nach Fischers Fragen. Auch sie musste einen Schluck trinken, ehe sie fragen konnte: «Wie bitte?»
«Du hast es doch gehört», sagte Annette ungerührt und wiederholte: «Andy Jäger.»
Heidrun Merz schaute zu Stefanie und Julia hin, die beide mit entgeisterten Mienen über ihren Tellern verharrten. «Andy, den Jäger», wiederholte sie mit Betonung auf dem Artikel. «Da mit war kein Familienname gemeint, sondern eine Tätigkeit. Er jagte eben kein Wild, sondern Frauen und erzählte Mona freimütig davon. Das haben Sie doch sicher gelesen, Frau Jäger.»
Das hatte Karola garantiert, und sie dürfte auch kaum vergessen haben, wie freimütig Andreas ihr damals immer von seinerJagd nach Abenteuern auf heimischen Landstraßen berichtet hatte. Wenn Annette das an Heidrun Merz weitergegeben hatte … Marlene kam nicht umhin, an eine Absprache zu denken, getroffen für den Fall, dass man Karola in die Schranken verweisen musste.
«Aber es ist durchaus möglich», fuhr Heidrun Merz fort, «dass er sich ihr als Andy Jäger vorgestellt hat. Der Name wird falsch gewesen sein. Die Kripo hat jedenfalls keinen Andy Jäger aufspüren können, der als Täter oder auch nur als Liebhaber in Frage gekommen wäre. Andererseits …» Heidrun Merz ließ einige Sekunden verstreichen, um die Wirkung ihrer Worte zu erhöhen, «… haben sie ihr Hauptaugenmerk auf die Agentur gerichtet. Damit hatte der Kerl aber nichts zu tun. Und wenn er nach Monas Verschwinden untergetaucht ist, wie sollten sie ihn dann finden?»
Das wusste Karola wohl auch nicht. Sie zuckte mit den Achseln und widmete sich ihren Cannelloni.
Im weiteren Verlauf der Unterhaltung nannte Heidrun Merz den ominösen Liebhaber mehrfach «Herrn Biedermann». Ein Scheusal, das seine üble Fratze hinter einer gutbürgerlichen Fassade versteckte. Gut möglich, dass er verheiratet war und Kinder hatte, dass er seiner Familie, Nachbarn und Arbeitskollegen den liebevollen Ehemann und Vater vorgaukelte. Seine finstere Seite zeigte er nur seinen Opfern, und auch denen nur häppchenweise. Erst wenn er eine Frau völlig unter Kontrolle hatte, tobte er sich richtig aus, spielte alles durch, was sein krankes Hirn produzierte.
Marlene wurde den Verdacht nicht los, dass Heidrun Merz weiterhin auf Andy Jäger abzielte, um Karola in Schach zu halten. Annette stimmte zu und führte ein paar Serienmörder an – intelligente wohlgemerkt, in die Kategorie musste man auch
Herrn Biedermann
einordnen –, deren Taten und Vorgehensweisenihr aus Büchern geläufig waren: Ted Bundy, Ed Kemper. Und nicht zu vergessen Marko Stichler, den Modefotografen, der mit Frau und Söhnchen im Nachbarort Sindorf gewohnt hatte. Von dem hatte Heidrun Merz auch gehört.
Ohne noch einmal ausdrücklich auf Fischers Anspielung einzugehen,
Monas Tagebuch
diene nur dem Zweck, von ihrem Schwager und ihr selbst abzulenken, fuhr die Autorin fort: «Wie krank dieses spezielle Hirn wirklich ist, konnte ich gar nicht drucken lassen. Das Taschenbuch enthält eine stark gekürzte und entschärfte Zusammenfassung aller Tagebücher. Da mag an einigen Stellen der Eindruck entstehen, dass ich mehr verschweige als offenbare. So ist es auch. Insgesamt hatte Mona sieben Kladden gefüllt und die achte angefangen. Ich konnte beim Lesen der letzten beiden oft nicht glauben, dass sie sich tatsächlich auf so perverse Spielchen eingelassen hatte.»
«Was, um Himmels willen, kann denn perverser sein als die Raststättenepisode oder die Sache auf der Autobahn?» Karola hatte den Dämpfer verarbeitet und mischte wieder mit. «Ich habe mich gefragt, wie verrückt eine Frau sein muss, um sich für so etwas herzugeben und auch noch das Leben von Unbeteiligten zu riskieren. Dass der Kerl sie dazu aufforderte, wollte mir auch nicht in den Kopf. Er hätte doch ebenfalls draufgehen können.»
«Wenn man sich für Gott hält, hält man sich für unsterblich», sagte Heidrun Merz und schob ein Tomatenviertel aus ihrem Salat an den Tellerrand. «Mona war nicht verrückt,
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