Der Frauenjäger
aufriss. Die Jacke rutschte ihr vom Arm, ohne dass sie Anstalten gemacht hätte, sie festzuhalten. Beinahe fiel ihr auch noch die Tasche aus der Hand. «Sag das nochmal», verlangte sie.
Das tat Elke nicht. Sie sagte stattdessen: «Ihr Mann hat sie letzte Woche als vermisst gemeldet.»
«Und davon soll Kolber nichts wissen?», regte sich Karola auf. «Ich hab ihn noch nach jüngeren Frauen gefragt. Was bildet der sich ein? Dem reiße ich den Kopf ab.»
«Frag dich lieber, ob der Spinner sie gemeint hat», riet Elke.
«Barbara König?», zweifelte Karola. «Kann ich mir nicht vorstellen. Die ist ein ganz anderer Typ als Mona. Keine Spur von Depression. Die hurt nur wie blöd herum. Wahrscheinlich ist sie wieder mit irgendeinem Typ unterwegs und kommt zurück, wenn sie den über hat.»
Elke zuckte mit den Achseln, lauschte wieder aufmerksamins Telefon und legte den Hörer nach einem knappen Dank auf. «Was treiben die da bloß?», fragte sie. «Es gibt wieder kein Wetter.»
«Nimm das von elf nochmal», riet Karola.
«Das war von neun», sagte Elke.
Karola hob ihre Jacke vom Boden auf und zeigte zum Fenster. Draußen spielte der Wind mit feinem Schnee. «Na und? Was hat sich denn seitdem geändert? Hau zwei Grad drauf und pack den Griesel rein, dann merkt es keiner.»
Dann lächelte sie Marlene an. «Jetzt brauche ich ein Gulasch. Magst du’s scharf? Ich lade dich ein.»
Der gute Rat zum Wetterbericht rückte die Dinge für Marlene wieder gerade und machte die letzte Stunde am Mikrophon zu einem Stück Unterhaltung. Nur ein Schauermärchen, wie Karola schon viele erzählt hatte. Diesmal hatte eben sie erzählt – auf Karolas Wunsch und nach deren Vorgaben.
Der schreckliche Unfall an der Kiesgrube verlor seine unheilvolle Bedeutung. Der Tod von Heidrun Merz blieb unverändert tragisch, aber persönlich war daran nur noch Werners Bemühen um die sterbende Frau.
Der Anrufer, der sich nach der Zentralverriegelung ihres Vans erkundigt hatte, war wohl einer gewesen, der sie kannte und wusste, welches Auto sie fuhr. Vielleicht Annettes Witzbold, bei dem der Van versichert war. Wenn Christoph zu Kunden fuhr, hörte er immer Radio, und wenn er in Karolas Sendungen geriet, machte er sich regelmäßig lustig darüber.
Fischer war wieder ein harmloser, freiberuflicher Journalist, der nur einen Artikel für den Spiegel schreiben wollte und dafür eine Publikumsreaktion brauchte. Und Barbara König war bloß ein verschwommenes Gesicht in einem Hauseingang, auf das Karola irgendwann einmal gezeigt und gesagt hatte: «Schau dir das Luder an, die sieht aus, als könne sie kein Wässerchentrüben. Aber die hat’s faustdick hinter den Ohren. Du kannst dir gar nicht vorstellen, mit was für widerlichen Kerlen die es treibt. Dass sie sich mit Andreas eingelassen hat – und sie hat, auch wenn sie es bestreitet –, kann ich ja noch nachvollziehen. Aber all die anderen. Du müsstest dir ansehen, was die in Kneipen aufgabelt, Marlene. Da kriegst du das kalte Grausen. Meist sind die Typen besoffen und grundsätzlich behaart wie Affen. So einen könnte ich nicht anfassen. Eines Tages gerät sie an den Falschen. Dann kommt sie nicht mit einer schnellen Nummer auf dem Männerklo davon.»
Das Männerklo hatte Marlene eine Weile intensiv beschäftigt, sich sogar einmal vor ihr geistiges Auge geschoben, als Werner mit ihr schlief. In der Vorstellung gab es natürlich keinen Gestank, nur ein erregendes Bild. Keine zwielichtige Kneipe, sondern ein schickes Restaurant. Ein Essen mit Werner. Sie ging zwischen Vorspeise und Hauptgericht zur Toilette, und irgendeiner folgte ihr. Zu Gesicht bekam sie ihn nicht. Er packte sie von hinten, drängte sie ins Männerklo, drückte sie gegen eine Wand …
Als ihr bewusstgeworden war, womit sie sich beschäftigte, war es vorbei gewesen, fast so, als hätte sie Werner tatsächlich betrogen. Dabei hätte es in der Vorstellung durchaus auch Werner sein können.
Sie hatte vor ihm keinen anderen Mann gehabt und noch nie wirklich das Verlangen verspürt, festzustellen, wie es mit einem anderen wäre. Mit Werner war der Sex von Anfang an eine gute Sache gewesen. Nicht mal beim ersten Mal hatte etwas gestört, obwohl sie so nervös gewesen war, dass zwei Kondome rissen. Zum Glück waren drei in der Packung. Mit dem dritten nahm Werner die Sache selbst in die Hand. Und das Beste war vielleicht, dass er sich nicht erkundigte, ob es für sie schön sei oder wie es ihr lieber wäre. Das wusste er
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