Der Frauenjäger
Beleuchtung brauchte, nur die entsprechende Technik.
Nachtsichtgeräte und Restlichtverstärker richteten in völliger Schwärze wohl nichts aus. Es gab doch kein Restlicht. Aber aus Polizeihubschraubern ließen sich sogar vergrabene Leichen aufspüren, weil sie noch Wärme abstrahlten. Das hatte sie kürzlich in einem Film gesehen. Es war genau zu erkennen gewesen, wie der Körper in der Erde lag. Infrarot- oder Wärmebildkamera hießen die Zauberworte. Wärme strahlte sie jetzt garantiert mehr ab als zu Anfang in der Kuhle. Kalt war ihr momentan jedenfalls nicht.
Am liebsten wäre sie vor Scham im Boden versunken, weil sie nicht schon früher darauf gekommen war, dass ihre Not, die Ausbrüche von Angst und die hilflosen Aktionen beobachtet wurden. Dabei hatte das eine grausame, abnorme Logik. Welchen Sinn sollte es sonst haben, eine Frau in völlige Finsternis zu verschleppen und stundenlang wie eine Blindschleiche durch den Dreck kriechen zu lassen? Man musste sich in der Nähe aufhalten, wenn man etwas davon mitbekommen wollte.
Vielleicht sollte der Mistkerl später Rechenschaft abgeben, dass er eine gewisse Grenze nicht überschritten hatte. Vielleicht kam das grüne Glimmen von der Betriebsleuchte einer Kamera.Zum Beweis, dass er Distanz hielt. Vielleicht hatte er sogar den Auftrag bekommen, alles aufzuzeichnen für eine Spezialvorstellung im Heimkino.
Ist das ein köstlicher Anblick, wie sie da über dem Graben hängt. Der nackte Hintern ist auch Klasse, aber wem sage ich das? Beinahe hätte sie sich in die Hosen geschissen, hat sie mit knapper Not runterbekommen. Und wie sie den dreckigen Stein lutscht, weil sie vor Durst halb verrückt wird. Herrlich, oder? Die macht garantiert keine Zicken mehr, das kannst du mir glauben.
«Macht’s Spaß, mir zuzuschauen, wie ich hier herumkrauche, du Arsch?», rief sie. Das Schimpfwort setzte sie bewusst ein, um ihn zu reizen. Eigentlich entsprach es nicht ihrer Art, solch vulgäre Ausdrücke zu benutzen. Aber
Mistkerl
drückte nicht annähernd aus, was sie gerade fühlte.
Sie rechnete nicht wirklich mit einer Reaktion, fragte trotzdem: «Kommst du dir nicht selbst ziemlich feige vor? Es ist keine Kunst und kein Heldenstück, eine Frau mit ein paar Zündhölzern und drei Bonbons in einer Höhle auszusetzen. Hast du Angst, dass ich dir die Augen auskratze, wenn ich ein bisschen mehr Licht hätte?»
Natürlich antwortete er nicht.
«Wie wär’s denn, wenn du mal die Kassette wechselst?», fragte sie. «Sonst fange ich gleich an mitzusingen. Das willst du bestimmt nicht hören. Du kannst mir auch sagen, wo die Plärrmaschine steht, dann schalte ich sie aus. Mittlerweile müsste dir Lucy Jordan doch zum Hals raushängen.»
Nichts tat sich. Als sie nach einer Weile weiterkroch, wurde die Musik noch ein wenig leiser. Der Unterschied war minimal, sie bemerkte es nur, weil sie nun angestrengt horchte, ob vielleicht irgendwo ein Steinchen kullerte oder etwas knirschte unter einem Schritt. So etwas hörte sie nicht, dafür sang Marianne wohl noch zu laut. Aber vielleicht war er auch stehengeblieben wie ein ertappter Sünder. Die Vorstellung gefiel ihr besser.
Jetzt wartete er wohl, bis sie einen gewissen Vorsprung hatte. Da konnte er lange stehen. Mal sehen, wer geduldiger war. Sie hielt wieder inne, verharrte auf allen vieren, bis Marianne erneut zum Ende kam. Und kaum waren die letzten Takte verklungen, hörte sie es so deutlich, dass vorübergehend alles andere nebensächlich wurde, sogar die Anwesenheit eines Mistkerls.
14. Januar 2010 – Donnerstagnachmittag
Der Bummel mit Karola nahm genügend Zeit in Anspruch, um Marlenes Kinder in helle Aufregung zu versetzen. Johanna und Leonard gerieten außer sich vor Sorge, als sie aus der Schule kamen. Kein Van in der Garage, aber Mamas Hausschlüssel am Haken. Ungemachte Betten, das Frühstücksgeschirr noch auf dem Küchentisch, im großen Bad ein blutverschmierter Anzug und nirgendwo eine Nachricht.
Johanna rief umgehend das Büro in Köln an, erreichte ihren Vater dort natürlich nicht. Werner war noch in Düsseldorf. Ersatzweise erschreckte Johanna die Sekretärin. Die versuchte dann ihrerseits, Werner an die Strippe zu bekommen. Als ihr das nicht gelang, sprach sie ihm eine Hiobsbotschaft auf die Mailbox. «Ihre Frau ist verschwunden, möglicherweise nicht freiwillig. Jemand hat viel Blut verloren. Der Wagen Ihrer Frau ist ebenfalls weg.»
Werner meldete sich nur eine Viertelstunde später daheim und gab
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