Der Frauenjäger
Sogar der Schmuck von meiner Schwiegermutter ist noch da. Sieht fast so aus, als hätte sich jemand nur mal bei mir umschauen wollen.»
Karola zahlte auch Marlenes Cappuccino, kaufte noch zwei Hefeschnecken für einen gemütlichen Nachmittag mit Julia und verabschiedete sich, als sie ihre Autos erreichten, mit den Worten: «Bis Samstag. Es bleibt doch dabei? Ich mache Chili.»
Ursprünglich wäre sie am vergangenen Samstag dran gewesen,das monatliche Treffen im Freundeskreis auszurichten. Aber da es Ullas Geburtstag gewesen war, hatten sie bei der zusammengesessen und den Abend bei Karola um eine Woche verschoben.
Nummer neun
Ihre geschundenen Beine protestierten mit heftigem Schmerz in den Knien und den Schienbeinen, die auch schon einige Blessuren abbekommen hatten, als Marlene sich endlich umdrehte und sich auf den langwierigen, beschwerlichen Rückweg zu der Kuhle machte, in der sie zu sich gekommen war.
Auf dem ersten Stück orientierte sie sich an der Pfütze, die ihre Panikattacke produziert hatte. Dafür musste sie kein Zündholz opfern, obwohl sie auf dem kurzen Streifen die Steinchen nicht so sorgfältig beiseitegewischt hatte wie zuvor. Der Fäkaliengestank stieg ihr schon in die Nase, nachdem sie die Hände zweimal vorgeschoben hatte. Sie befürchtete hineinzufassen, doch das geschah nicht. Vielleicht griff sie haarscharf daneben, wie sollte sie das feststellen ohne Licht?
Dann wurde der Geruch schwächer, sie hielt an, ignorierte die rebellierenden Kniescheiben und konzentrierte sich auf ihre Hände. Es war ein mühsames Unterfangen, dauerte zwei oder drei Balladen. Sie zählte nicht mit, tastete nur Zentimeter für Zentimeter den Boden rundum ab.
Endlich glitten ihre Finger über einen Streifen, auf dem keine losen Steinchen und Splitter lagen. Sie schob die Hände weiter vor, immer noch nichts Scharfkantiges, was sich hätte wegwischen lassen. Das musste der richtige Weg sein.
Für ihr Gefühl kam sie etwas zügiger voran, legte aber schon bald die nächste Pause ein, weil die Musik leiser geworden warund das Rauschen in den kurzen Pausen lauter. Es war jetzt wieder gut zu hören. Sie richtete den Oberkörper auf, drehte den Kopf hin und her, um vielleicht doch eine bestimmte Richtung auszumachen. Es schien von rechts zu kommen – wie die Musik. Und als sie reflexartig über ihre rechte Schulter schaute, bemerkte sie ein winziges, schwachgrünes Pünktchen, genau genommen nur ein Glimmen in all der Schwärze ringsum.
Im ersten Moment hielt sie es für eine optische Täuschung. Wenn man lange genug in totale Finsternis schaute, flimmerten einem eben irgendwann bunte Punkte vor den Augen.
Aber nicht nur ein einzelner grüner, der sich auch durch mehrmaliges Blinzeln nicht vertreiben ließ!
Was – zum Teufel – war das?
Es erinnerte sie an die Lämpchen, die am Kühlschrank und am Gefrierschrank signalisierten, dass die Geräte Strom hatten und alles in Ordnung war. An ihrem alten Kassettenrekorder hatte damals auch ein grünes Lämpchen geleuchtet, wenn er eingeschaltet war. Im Aufnahmebetrieb war noch ein rotes dazugekommen.
Plötzlich wurde ihr bewusst, was sie bezüglich der Musikquelle bisher nicht bedacht hatte. Ein kleiner Kassettenrekorder konnte es keinesfalls sein, das stand fest. Und ein Ghettoblaster musste hier unten strahlen wie der Lichterschlauch mit Weihnachtsengeln im Küchenfenster daheim.
Wenn die Plärrmaschine nahe der Kuhle stand, hätte ihr die beleuchtete Skala schon kurz nach dem Aufwachen ins Auge stechen müssen. War sie ihr am Ende sogar aufgefallen, und sie hatte in ihrem Tran angenommen, es sei Werners Radiowecker?
Das glaubte sie nicht. Es war eher zu vermuten, dass der Ghettoblaster gut versteckt hinter einem Felsbrocken oder in einer Erdspalte stand, vielleicht zusätzlich noch mit einem Tuch über dem verräterischen Leuchten.
Sie brauchte einige Sekunden, um die daraus resultierende, einzig logisch erscheinende Erklärung für das grüne Glimmen zu verdauen. Es war wie ein Schlag in die Magengrube. Der Mistkerl, der sie hierhergebracht hatte, war in ihrer Nähe, stand ein Stück weit rechts von ihr, hatte irgendein Gerät mit einem grünen Lämpchen bei sich und schaute sich an, wie sie hier herumkrabbelte.
Ohne Licht? Wieso fiel er nicht auf die Fresse?
Weil es vermutlich einen sicheren Weg gab für einen, der sich hier unten auskannte. Und weil man nicht unbedingt eine Taschenlampe, einen Schutzhelm mit Scheinwerfer oder ein Stirnband mit
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