Der Frauenjäger
verallgemeinern», widersprach Marlene. «Nur weil Andreas dich enttäuscht …» Weiter kam sie nicht.
«Enttäuscht?», echote Karola und lachte freudlos. «Findest du nicht, das ist ein bisschen milde ausgedrückt? Enttäuscht wäre ich gewesen, wenn er mich jahrelang von unterwegs angerufen hätte, weil er noch in einer Besprechung sitzt oder den letzten Flieger verpasst hat. Dann wäre ich vermutlich aus allen Wolken gefallen, als er plötzlich nicht mehr heimkam.»
Der Vergleich weckte Marlenes Misstrauen. «Willst du damit andeuten, dass Werner mich betrügt?»
Karola lachte noch einmal. «Wenn ich wüsste, dass er es täte, würde ich es nicht andeuten. Das würde ich dir brühwarm erzählen und mich dabei wahrscheinlich auch noch gut fühlen. Matthias und Christoph könntest du mir nachwerfen, da würde ich mich nicht mal umdrehen, wenn ich es klappern oder klatschen hörte.»
Das konnte Marlene nachvollziehen. Matthias war von zwei Pleiten gezeichnet und sah zehn Jahre älter aus, als er war. Hager war er, regelrecht dürr. Die Schulden hatten ihm den Nacken gebeugt und den Kopf nach unten gedrückt. Wenn er ihn hob, sah man einen verkniffenen Ausdruck um seinen Mund, den er in jungen Jahren nicht gehabt hatte. Und die Falten aufseiner Stirn lagen nur knapp unter der Tiefe, die ein Reifenprofil brauchte, um noch durch den TÜV zu kommen – so hatte Annettes Clown mal gescherzt. Es hatte aber keiner darüber gelacht.
Christoph sah man an, dass er ein Freund von deftigen Lebensmitteln war. Sein Gesicht war glatt und rosig, weil er mindestens vierzig Kilo Übergewicht hatte. Seine Stirn zog sich bis zum Hinterkopf. Mit seinem Bauch konnte er gegen jede Hochschwangere antreten. Und seinen Humor konnte Marlene nur noch schwer ertragen. Er war mit der Zeit immer sarkastischer geworden.
Nur Werner hatte sich zu seinem Vorteil verändert. Zwar hatte er etwas vom jugendlichen Schmelz eingebüßt, kein Wunder, er war schließlich keine zweiundzwanzig mehr. Aber seine Figur war tadellos, sein Haar wuchs noch dicht und dunkel, die ersten Fältchen um die Augen musste man mit der Lupe suchen. Und mit fünfundvierzig standen ihm die Hemden entschieden besser zu Gesicht. Er wirkte darin bei weitem nicht mehr so hausbacken wie damals in der Diskothek. Im Gegenteil.
«Aber dich habe ich von der ersten Stunde an beneidet», fuhr Karola fort. «Das müsstest du eigentlich noch wissen. Ich wollte den im blauen Hemd.»
«Du hast mal gesagt, du würdest es keine drei Tage mit ihm aushalten», erinnerte Marlene sie.
«Weiß ich», räumte Karola ein. «Da war ich neunzehn und fand es spießig, im Bett zu vögeln. Andreas konnte nur draußen. Im Haus bekam er einfach keinen hoch, hatte immer Schiss, seine Mutter könnte hören, dass er ein bisschen Spaß hatte.»
Erst in einem Kaffee-Shop wechselte Karola endlich das Thema. Auf dem Weg dorthin hatte sie sich an einem Kiosk mit einigen Illustrierten versorgt, um sich auf ihre Freitagabendsendung als Frau Heinze vorzubereiten. Bei einem Pott Kaffeeund einem Cappuccino für Marlene blätterte sie die Horoskope durch und las einige vor.
Das erste prophezeite Marlene eine Auseinandersetzung mit dem Partner und veranlasste sie, schon einmal zu überlegen, mit welchen Worten sie Werner ihren ersten öffentlichen Auftritt nahebringen sollte. Das zweite versprach ihr ganz allgemein eine aufregende Woche. Das dritte riet, einer neuen Bekanntschaft skeptischer gegenüberzutreten. Im vierten ging es um eine unerwartete Konfrontation mit der Vergangenheit.
In dem Blatt mit einer spärlich bekleideten jungen Blondine auf der Titelseite drehte sich alles um Leidenschaft und Erotik, entsprechend fiel die Vorhersage aus. Demnach durfte Marlene sich auf Stunden freuen, in denen ihre kühnsten Erwartungen erfüllt wurden. Dasselbe Blatt prophezeite Werner ein romantisches Wochenende und Karola immerhin noch eine aufregende Nacht.
«Hoffentlich ein Wasserrohrbruch», unkte Karola. «Da für kann ich Christoph in die Pflicht nehmen. Ich bräuchte dringend neue Fliesen im Bad, eigentlich ein komplett neues Badezimmer. Und noch dringender ein neues Schloss für die Kellertür.»
«Ach ja», entsann Marlene sich, «Julia erzählte gestern, die Tür ginge von alleine auf, weil das Schließblech verbeult sei.»
Karola verstaute die Illustrierten in ihrer Tasche und erklärte dabei: «So sieht es aus, und von alleine verbeult so was nicht. Aber es wurde nichts durchwühlt oder gestohlen.
Weitere Kostenlose Bücher