Der Frauenjäger
sogar: «Tut mir leid, ich wollte dich nicht beleidigen.» Dass ihre Stunden am Mikrophon schwerwiegende Folgen haben könnten, glaubte er ebenso wenig wie Karola, mit der er sich aber am Samstagabend noch ausführlich darüber unterhalten wollte.
«Das tust du besser heute noch», schlug Marlene vor. «Wirf bei der Gelegenheit einen Blick auf ihre Kellertür. Die schließt nicht mehr richtig. Wenn du das reparieren kannst, ersparen wir Karola vielleicht eine aufregende Nacht.»
Hätte Werner sich nun erkundigt, welche Art von Aufregung sie meinte, wäre sie wohl auf der Stelle wortbrüchig geworden. Aber er fragte nicht, sagte nur mit einem vernehmlichen Seufzer: «Von mir aus, aber iss erst, bevor es ganz kalt wird.»
Sie tat ihm den Gefallen. Der Reis war nur noch lauwarm, weil diese Aluschale schon geraume Zeit offen stand. Doch das Huhn mit Wiesenchampignons war noch heiß genug, um ein paar Löffel Reis anzuwärmen.
Anschließend kümmerte sie sich um den erbetenen Rückruf. Weil es schon nach halb neun war, wählte sie Annettes Privatnummer. Christoph kam an den Apparat. Annette war noch nicht da, hatte ihn kurz nach sechs informiert, dass es bei ihr heute später werde, sie wolle sich nach Ladenschluss noch mit jemandem treffen, es sei wichtig.
«Wenn es dringend ist, musst du es auf dem Handy probieren», riet er. «Kannst ja vorher ein kleines Gebet sprechen. Die halbe Zeit funktioniert das Ding nicht.»
«Sie hat es dringend gemacht», erklärte Marlene. «Hast du keine Ahnung, worum es geht? Wen wollte sie denn treffen?»
«Da fragst du den Richtigen.» Christoph lachte. «Sie wird mir doch nicht auf die Nase binden, mit wem sie fremdgeht.»
Das war nur einer seiner üblichen Scherze, gleich darauf wurde er vorübergehend ernst: «Wenn ich sie richtig verstanden habe, ging es um die Frau, die gestern Abend bei ihr gelesen hat und anschließend verunglückt ist. Es hat jemand in der Bücherstube angerufen, der eine Beobachtung melden wollte.»
«Bei Annette?», wunderte Marlene sich.
Christoph lachte noch einmal. «Manche reden eben lieber mit einer Buchhändlerin als mit einem Polizisten, kann ich verstehen. Wahrscheinlich nur jemand, der sich wichtigmachen will. Ich hab gehört, du hast dich wegen dieser Sache auch schon mächtig ins Zeug gelegt. Warst am Vormittag im Radio. Was sagt denn Werner dazu, dass er jetzt eine Berühmtheit an seiner Seite hat?»
«Das kannst du ihn am Samstagabend selbst fragen», antwortete Marlene. Danach erst erkundigte sie sich so beiläufig wie möglich: «Hast du heute Morgen zugehört?»
«War mir leider nicht vergönnt», bedauerte er. «Ich hatte bis um zwei in der Agentur zu tun.»
Also konnte er nicht im Sender angerufen und sich erkundigt haben, ob ihr Van keine Zentralverriegelung hatte. Er hättees jetzt auch garantiert erwähnt, eins seiner Witzchen über das Technikverständnis von Frauen gerissen. Wahrscheinlich war es der pedantische Nachbar gewesen. So wichtig, dass es sie beunruhigt hätte, fand Marlene es nicht. Es war ihr eher peinlich, weil es dumm gewesen war, einfach nachzuplappern, was Karola vorsagte. Aber wenn Christoph nicht zugehört hatte, würde Werner zumindest von ihm nichts erfahren. Das erleichterte sie. Den Pedanten von nebenan nahm Werner nicht ernst.
Dass sie es auf Annettes Handy probierte, verhinderte er, drängte zum Aufbruch. «Ich habe keine Lust, um zehn Uhr noch an Karolas Kellertür zu basteln», sagte er, schnappte sich
Monas Tagebuch
und wollte damit in die Diele.
«Was hast du damit vor?», rief sie, während sie ihm eilig folgte.
«Na, was wohl?», gab er zurück. «Das ist Schund, und Schund gehört in den Müll. Ich werfe es draußen in die blaue Tonne.»
«Untersteh dich», warnte sie und zog ihm, als sie ihn erreichte, das Büchlein aus der Hand.
Es war das erste Mal in all den Jahren, dass sie sich nicht widerspruchslos in eine seiner Entscheidungen fügte. Bisher war es nie notwendig gewesen, gegen seine Pläne, Ansichten und Handlungsweisen zu protestieren. Unbedingt notwendig war es auch jetzt nicht. Es lag ja noch ein Exemplar auf dem Beistelltisch.
«Wenn du eins wegwerfen willst», sagte sie, «nimm das aus dem Wohnzimmer. Oder kauf dir bei Annette selbst eins. Dieses möchte ich behalten. Es ist signiert. Die Autorin ist tot. Und ich will es lesen, auch wenn du es für Schweinkram hältst. Das ist es nicht – bis auf zwei, drei Stellen vielleicht. Der Rest ist traurig.»
Ihre Erklärung
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