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Der Frauenjäger

Der Frauenjäger

Titel: Der Frauenjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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verunsicherte ihn offenbar. Er wollte wissen, ob sie bei ihm etwas vermisse.
    «Nein», sagte sie, «im Gegenteil.»
    «Das klingt nicht so, als wärst du mit dem Gegenteil glücklich», stellte er fest.
    «Bin ich auch nicht», gestand sie. «Manchmal bin ich so traurig wie die Frau in diesem Buch. Deshalb habe ich es bisher nicht gelesen. Aber jetzt mache ich das. Und nun lass uns fahren, sonst wird es wirklich zu spät für Karolas Kellertür.»
    Er nickte, betrachtete sie noch sekundenlang, als habe sie einen mysteriösen Ausschlag im Gesicht. Dann öffnete er die Tür zur Garage. Sie legte das Buch auf die Garderobe und folgte ihm.

Nummer neun
    Mit der rauen Grabenwand im Rücken saß es sich auf dem abschüssigen, steinigen Boden längst nicht so bequem wie auf der Couch daheim. Aber es war doch angenehmer als alle anderen Positionen, die sie bisher eingenommen hatte. Sie zog das letzte Bonbon aus der Tasche, wickelte es aus und leckte daran. Zitrone. Die Versuchung war groß. Sie widerstand aus einem Grund, der ihr in seiner gesamten Tragweite gar nicht richtig bewusstwurde.
Wer weiß, wann ich das nächste Mal ein Bonbon oder sonst etwas Essbares in die Finger bekomme.
    Sorgfältig drehte sie das Cellophan wieder darum, steckte es zurück in die Jacke und nahm lieber noch einmal das Steinchen in den Mund. Dann zog sie die Beine an, legte die Stirn auf die von durchgescheuertem, eingerissenem und spürbar feuchtem Hosenstoff umhüllten Knie, schloss die Augen und versuchte sich zu erinnern, wann sie die letzte Tetanusimpfung bekommen hatte.
    Währenddessen sang Marianne Faithfull über ihrem Kopf dreimal die Ballade einer Frau, die sich nutzlos und überflüssigfühlte. Die Musik war merklich gedämpft, aber in gleichbleibender Lautstärke.
    Als Marlene zum vierten Mal die Zeile hörte,
Pretty nursery rhymes she’d memorised in her daddy’s easy chair,
quälte sie sich wieder in die Höhe. Und es war eine Qual. Wenn sie noch länger sitzen geblieben wäre, wäre sie womöglich gar nicht mehr hochgekommen. Jeder Knochen tat ihr weh, die Muskeln waren steif von der Kälte und den ungewohnten Anstrengungen. Über ihre Knie dachte sie lieber nicht nach. Der feuchte Hosenstoff sprach dafür, dass beide bluteten. Es würde zwangsläufig noch eine Menge Dreck in die Wunden geraten. Und ihre letzte Tetanusimpfung lag so lange zurück, dass sie sich nicht daran erinnerte.
    Sie richtete sich nicht gleich ganz auf, blieb gebückt und spähte über die Kante in die Schwärze. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass der Mistkerl sich näher herangewagt hatte, um zu sehen, was sie trieb, nachdem sie aus seinem Blickfeld abgetaucht war.
    Minutenlang hielt sie Ausschau nach dem grünen Glimmen, suchte ein paar Steine zusammen, die als Wurfgeschosse geeignet waren, und stellte sich vor, ihn mit einem davon zu treffen, und zwar so, dass es richtig wehtat. Aber nirgendwo war etwas zu sehen. Vielleicht hatte sie ihn mit ihren Rufen vorhin darauf hingewiesen, dass die Betriebsleuchte seiner Kamera ihn verriet, und er hatte das Lämpchen mit irgendwas zugeklebt. Dumm gelaufen.
    Ihr wäre entschieden wohler gewesen, wenn sie gewusst hätte, wie nahe er war. Ob er ihr auf die Finger treten konnte, sobald sie   … Das sah man so oft in Filmen: Da hing jemand über einem Abgrund, klammerte sich mit letzter Kraft an eine Kante, einen überstehenden Stahlträger, eine Balkonbrüstung oder sonst was. Und ein Schuh drehte sich mit der Sohle auf den Fingerspitzen. Aber sie hing doch nicht über einem Abgrund.Und wenn er sie verletzen wollte, hätte er das längst getan. Gelegenheit dazu hatte er bestimmt reichlich gehabt.
    Schließlich begann sie auf der Kante nach ihrer Spur zu tasten. Und wieder geriet ihr etwas zwischen die suchenden Finger, das sich so gar nicht nach einem Stein anfühlte. Diesmal war es ein Papierchen. Der Form und Beschaffenheit nach zu urteilen, war darin mal ein Kaugummistreifen eingewickelt gewesen.
    Tja, wenn man ein starker Raucher war und sich keine Zigarette anzünden durfte, weil die Glut verraten hätte, wo man sich aufhielt, brauchte man einen Ersatz. Bei dem Gedanken empfand sie eine gewisse Genugtuung. Doch die verflog rasch, als sie sich mit ihren müden Armen nach oben zu stemmen versuchte.
    Die Grabenkante lag auf dieser Seite nur wenig höher als die Arbeitsflächen in ihrer Küche. Da kam sie immer leicht rauf, stellte sich mit dem Rücken dagegen, stützte die Hände auf, hopste in die Höhe und

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