Der Frauenjäger
legte keinen Wert darauf, die Polizei zu rufen. Er konnte sich denken, dass man ihn noch auf irgendeiner Liste hatte, und wollte daheim kein freudiges Hallo auslösen. Die Fiatfahrerin ließ sich in ihrem Zustand gerne zu einer gütlichen Einigung ohne Polizei überreden. Sie fuhr vor Andreas her zum nächsten Geldautomaten, dreihundert Euro wechselten den Besitzer.
Erst bei der Weiterfahrt merkte Andreas, dass sein Motorrad stärker beschädigt war als im ersten Moment angenommen. Auf Nebenstrecken brachte er es Richtung Heimat, konnte die meiste Zeit nur Schritt fahren. Am späten Abend erreichte er das Gewerbegebiet und tauchte bei Scheidweber & Co auf.
Nun hoffte Ulla, dass es ihm in dieser Nacht gelang, die Reparatur zu beenden. In der vergangenen Nacht hatte er das nicht geschafft und am frühen Morgen das Motorrad in Einzelteilen hinausschaffen und auf dem Werksgelände verstecken müssen. Blut und Wasser hatte Ulla geschwitzt, dass im Laufe des Tages jemand darüber stolpern könnte. Aber zum Glück war es so kalt, dass sich keiner länger als unbedingt nötig draußen aufhielt.
Nach diesen Erklärungen lächelte Ulla sie von der Seite an, wollte wissen, ob sie sich beruhigt und was es mit dem konfusen Gerede von Mona, Josch und Heidrun Merz auf sich habe.
Marlene war ruhig genug, um etwas weiter auszuholen, begann beim vergangenen Abend. Von der Lesung in
Annettes Bücherstube
wusste Ulla nichts. Auf den Namen der Autorin hatte sie nicht geachtet, als Annette ihr vor einiger Zeit
Monas Tagebuch
in die Hand gedrückt hatte.
Gelesen hatte Ulla das Büchlein, allerdings nicht Zeile für Zeile. «Dafür war mir meine Zeit zu schade», sagte sie. «Ich hab’s auch gleich weggeworfen, weil ich nicht wollte, dass Meike sich damit beschäftigt. Sie liest gerne und alles, was ihrin die Finger gerät, sogar die Bedienungsanleitung für unseren alten Mixer.»
Ulla lachte leise, fröhlich klang es verständlicherweise nicht. «Letzte Woche hat sie in alten Papieren gekramt. Abends wollte sie dann von mir wissen, was ein Mahnbescheid ist. Das konnte ich ihr erklären. Bei Analfissuren hätte ich passen müssen. Sie ist doch erst sieben.»
In spröden Worten gab Ulla eine Episode abartiger Spielchen wieder, die Marlene auch noch nicht kannte. Ulla deutete an, das Vokabular habe sie stellenweise an das erste Mal mit Matthias erinnert. Hauptsache höflich.
«Na, ich weiß nicht», sagte Marlene. «Höflich war der Kerl nicht in der Passage, die ich gelesen habe.»
«Seine guten Manieren verliert er auch ziemlich schnell», erwiderte Ulla und bedauerte, von Annette nicht über die Lesung informiert worden zu sein. «Ich wäre gekommen. Dann hätte ich für ein oder zwei Stunden an etwas anderes denken können als an Thomas und seine Wut. Und ich müsste mir jetzt nicht den Kopf zerbrechen, ob Andreas in dieser Nacht mit der Reparatur fertig wird. Hoffentlich braucht er nicht noch ein Ersatzteil. Je länger es dauert, umso größer das Risiko, dass er entdeckt wird. Dass die Geschäftsleitung meine Hilfsaktion gutheißt, glaube ich nicht.»
«Wieso nicht?», fragte Marlene. «Du sagst doch immer, die wären froh, wenn Andreas zurückkäme. Dann könnten sie seinem Nachfolger wegen Unfähigkeit kündigen.»
«Wenn Andreas bleiben würde», sagte Ulla. «Das wird er aber nicht.»
«Deswegen werden sie dich aber nicht feuern», meinte Marlene.
«In der heutigen Zeit muss man mit allem rechnen», widersprach Ulla. «Für das, was ich verdiene, bekommen sie zwei Junge, die doppelt so viele Überstunden machen.»
«Aber ehe die Jungen herausgefunden haben, dass der Leiter der Fertigungsabteilung ein ahnungsloser Trottel ist, vergeht eine Weile, in der dieser Idiot eine Menge Schaden anrichten kann», sagte Marlene. «Das weiß die Geschäftsleitung garantiert, sonst würden sie dich nicht so gut bezahlen.»
Wieder lachte Ulla. «Vielleicht hast du recht, und ich sollte nicht zu schwarz sehen. Trotzdem, ich hätte mich gestern Abend entschieden lieber mit
Monas Tagebuch
auseinandergesetzt als mit einer alten Verpflichtung. Ich konnte ihn nicht wegschicken. Wenn er sich damals nicht für mich eingesetzt hätte …»
Nach ein paar Sätzen über alte Zeiten kam Ulla wieder auf die Lesung zurück: «Wirklich schade, ich hätte die Autorin gerne gefragt, wie krank eine Frau sein muss, um einen Porno der übelsten Sorte zu schreiben und ihn als nackte Tatsache auszugeben.»
Das war wieder die Ulla, die Marlene seit
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