Der Frauenjäger
Sirius ist sehr wohl erwähnt, nur nicht als Agentur und nicht mit demAusdruck. An einer Stelle hat Mona über einen Besuch in der Oper geschrieben und Canis Majoris erwähnt. Wer keine Ahnung hat, könnte meinen, das wäre eine Arie oder eine Figur aus der Oper. Aber das ist das Doppelsternsystem des Sternbildes Großer Hund, der Sirius. Ich hab es Leonard erzählt. Er wollte nur sehen, ob ich recht …»
«Hast du nicht auch noch etwas für Geschichte zu tun?» Werner machte ihrer Erklärung ein Ende. «Wenn nicht, nimm Physik oder Geographie.»
Johanna erhob sich ohne Widerspruch, ließ ihren noch halb gefüllten Teller stehen und ging zur Dielentür. Dort drehte sie sich noch einmal um. «Manchmal bist du ein richtiger Spießer, Papa. Ehrlich. Wir sind doch keine kleinen Kinder mehr. Was glaubst du eigentlich, worüber an der Schule geredet wird? Schon mal was von Gang Bang gehört? Keine Angst, wir machen das nicht. Aber das da», ihr Kinn ruckte vor in Richtung Buch auf dem Tisch, «ist sogar neben der Französischen Revolution noch harmlos. In dem Buch wird keiner geköpft.»
Ehe Werner darauf reagieren konnte, wandte sie sich an Marlene: «Annette hat um sechs angerufen, Mama. Du sollst sie sofort zurückrufen, wenn du nach Hause kommst.»
«Warum?», fragte Marlene.
«Hat sie nicht gesagt, nur dass es wichtig ist.»
«Ich mach’s gleich», versprach Marlene.
Johanna verschwand ebenfalls in der Diele. Werner wartete noch, bis ihre Schritte auf der Treppe verklungen waren, ehe er wissen wollte: «Hältst du mich auch für einen Spießer?»
«Bisher habe ich dich nicht für einen gehalten», sagte Marlene. «Aber wenn du so ein Theater machst, nur weil Leonard in dem Buch gelesen hat …»
Weiter kam sie nicht. «Buch», wiederholte Werner mit einer Stimme, als würge ihn etwas. «Das ist kein Buch, das ist ein Porno der übelsten Sorte.»
«Genauso hat Ulla das eben auch ausgedrückt», stellte Marlene fest, besänftigte ihn damit allerdings nicht.
«Für dieses Machwerk hat Annette also am vergangenen Abend in die Bücherstube geladen und Karola dich heute Morgen in den Sender zitiert», ereiferte er sich weiter. «Darf ich erfahren, in welcher Weise Karola den Schweinkram für ihre Sendung ausgeschlachtet hat und mit welchen Anmerkungen du dich daran beteiligt hast?»
«Wir haben nicht über Sex gesprochen», erklärte Marlene. «Nur über Monas Depression, ihr Verschwinden, den Täter und den angeblichen Unfall von Frau Merz.»
«Was heißt angeblich?», wollte Werner wissen.
«Karola und Annette meinen, es sei kein Unfall gewesen. Hat die Frau nach Alkohol gerochen, als du bei ihr warst?»
«Das ganze Auto hat gestunken wie eine Schnapsbrennerei», sagte Werner. «Sogar mein Anzug riecht danach.»
«Ist mir nicht aufgefallen», murmelte Marlene und sprach in normaler Lautstärke weiter: «Aber sie hat nichts getrunken. Ich war doch die ganze Zeit dabei. Dann muss Karola recht haben. Der Kerl hat sie abgefangen und gezwungen …» Sie erhob sich wieder, wollte zum Telefon. «Ich hör mal, was Annette auf dem Herzen hat.»
«Moment», hielt Werner sie zurück. «Wer hat wen abgefangen?»
«Monas Mörder Monas Schwester», antwortete sie, für einen nicht Eingeweihten nicht unbedingt verständlich. «Karola meinte, er hätte im Radio von der Lesung gehört. Vielleicht sollte ich jetzt hoffen, dass er heute Vormittag nicht ebenfalls zugehört hat. Wir haben so getan, als wäre ich mit Frau Merz befreundet gewesen.»
Damit war es raus. Werners Reaktion fiel nur halb so dramatisch aus wie erwartet.
«Wie bitte?», vergewisserte er sich. «Du hast dich als Freundindieser Autorin ausgegeben? Ja, bist du denn …» Er sprach es nicht aus, machte nur eine bezeichnende Geste mit der Hand vor seiner Stirn.
Es kam für sie selbst überraschend. Statt sich schon wieder zu rechtfertigen oder zumindest einen Teil der Schuld in Karolas Schuhe zu schieben, brach sie in hysterisches Lachen aus. Es war einfach zu viel für einen einzigen Tag, nach all den Jahren, in denen sie nichts von Bedeutung zu sagen gehabt hatte.
«Klar», stimmte sie zu. «Nur Verrückte glauben an Horoskope. Die Auseinandersetzung mit dem Partner und die Konfrontation mit der Vergangenheit kann ich schon abhaken. Dann warte ich jetzt auf die neue Bekanntschaft. Und ich verspreche dir, dass ich sie skeptisch beäugen werde.»
Ihr unerwarteter Heiterkeitsausbruch beschwichtigte Werner endlich. Er entschuldigte sich
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