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Der Frauenjäger

Der Frauenjäger

Titel: Der Frauenjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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dem ersten Schultag kannte. Vielleicht genoss sie es nur, für ein paar Minuten an etwas anderes denken zu dürfen als das amputierte Bein ihres Sohnes und den Freund, der sie prompt in die Pflicht genommen hatte.
    Ulla bezweifelte nicht, dass Mona Thalmann Tagebuch geführt und darin ihre Verlassenheit, eventuell sogar eine Todessehnsucht zum Ausdruck gebracht hatte. Ihre Zweifel richteten sich ausschließlich gegen Heidrun Merz und deren lautere Absichten.
    Von Marlene zu hören, dass ein freiberuflicher Journalist namens Fischer Fragen gestellt hatte, die ein völlig anderes Licht auf Monas Verschwinden warfen, bestätigte Ulla in ihrer Ansicht.
    Marlene erzählte auch noch von dem Unfall an der Kiesgrube, ihrem Aufenthalt im Studio und den Behauptungen, die sie nach Karolas Vorgaben ins Mikrophon gesprochenhatte. Mit raschen Seitenblicken versuchte sie, Ullas Reaktion zu entnehmen, ob Andreas vielleicht doch etwas mit dem Tod von Heidrun Merz zu tun haben könnte. Wenn Ulla davon gewusst hätte, meinte sie, hätte Ulla auf den Journalisten als Verdächtigen anders reagieren müssen. Aber Ulla schüttelte nur den Kopf, riet ihr, Karola bei nächster Gelegenheit den Puls zu fühlen und sich den Rest der Lektüre zu ersparen.
    Als sie Legoland erreichten, ließ Ulla sich noch einmal versprechen, dass niemand von Andreas’ kurzem Gastspiel in der Heimat erfuhr. Wirklich niemand, auch Werner nicht.
     
    Werner saß bereits mit den Kindern vor gefüllten Tellern am Esstisch, als Marlene die Diele betrat. Ihre Portion wartete in einer geschlossenen Aluschale. Es duftete appetitlich, trotzdem herrschte dicke Luft. Leonard häufte mit gesenktem Kopf Reis auf seine Gabel, krönte ihn mit einer Garnele und führte die Gabel zum Mund, als läge obenauf eine dicke Made. Johanna sah betreten drein. Auf Werners Gesicht lag ein Ausdruck, den Marlene noch nie zuvor darauf gesehen hatte, aber bald zuordnen konnte – Zorn.
    Die Uhr auf dem Kaminsims zeigte zehn nach acht. Doch dass sie ein paar Minuten zu spät kam, war nicht der Grund für seine Verärgerung. Neben seinem Teller lag
Monas Tagebuch
.
    «Ich war noch bei Ullas Mutter», begann Marlene, obwohl er das garantiert längst von Leonard erfahren hatte. Sie setzte sich vor den leeren Teller und sprach weiter, als ließe sich die ungewohnte Spannung am Tisch mit ihrer Stimme vertreiben. «Sie bat mich, mit Ulla zu reden. Ulla war noch in der Firma, also bin ich   …»
    Andreas’ plötzliches Auftauchen lag ihr wie ein Zentnerstein auf der Seele. Natürlich hatte sie Ulla versprochen zu schweigen und wollte auch den Mund halten – solange die Kinder in Hörweite waren. Sonst wusste Julia in spätestens fünf Minuten, woihr Vater sich derzeit aufhielt. Drei Sekunden später wüsste es auch Karola. Aber Werner müsse es wissen, fand sie, auch wenn Ulla das anders sah.
    «Macht nichts», schnitt er ihr das Wort ab – zum ersten Mal in dreiundzwanzig Jahren. «Wer nicht kommt zur rechten Zeit, isst eben das, was übrig bleibt. Huhn mit Wiesenchampignons. Ich hoffe, es schmeckt dir. Es müsste noch heiß sein.»
    Das klang noch einigermaßen humorvoll. Mit den nächsten Worten wurde er ernst: «Wie geht es Ulla denn?»
    «Sie ist sehr gefasst, aber ihre Mutter war völlig verzweifelt.»
    Leonard schielte mit einem Auge zu dem Buch hin und fragte: «Darf ich in meinem Zimmer weiteressen, Papa? Ich muss noch etwas für Geschichte tun.»
    «Natürlich», sagte Werner. «Geh nur.»
    Unfassbar! Die seltenen Mahlzeiten im Familienkreis waren ihm normalerweise heilig. Und kaum war Leonard mit seinem Teller in der Diele, schob Werner das Buch quer über den Tisch zu ihr hinüber und sagte: «Das hattest du in der Küche liegenlassen.»
    «Es ging alles so schnell heute Morgen», rechtfertigte sie sich wieder. «Als Karola anrief   …»
    «Ja, ja», unterbrach er sie erneut und betrachtete das schmale, bleiche Frauengesicht auf dem Buchcover. «Pikante Lektüre. Vielleicht etwas zu pikant für ein Frühstück und ganz bestimmt zu scharf für einen Fünfzehnjährigen, der sich lieber mit der Französischen Revolution beschäftigen sollte. Er hatte ziemlich rote Ohren. Als ich ihn damit erwischte, informierte er sich gerade   …»
    «Es tut mir leid, Papa», fiel Johanna ihm ins Wort. «Ich hab dir doch gesagt, dass es meine Schuld war. Ich wollte nur etwas nachlesen.» Sie schaute Marlene an, während sie weitersprach: «Der Typ gestern Abend, dieser Fischer, war ein Idiot.

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