Der Fremde aus dem Meer
zu töten.«
Phalons Augen weiteten sich noch mehr, und er versuchte vergebens, nach rechts zu blicken.
»Oder dich bei lebendigem Leibe verbrennen wie deinen Vorfahren.«
Phalon blieb ruhig liegen. »Was weißt du über meine Familie?«
Eine Hand erschien in seinem Blickfeld, und er blinzelte, um seine Augen richtig einstellen zu können. »Ist es das, was du zu erlangen suchst, Rothmere? Willst du vor aller Welt deine Abstammung verbergen?« Lange Finger drehten das brüchige Stück Papier vor seinen Augen, und Phalon spürte, wie sein Herz einen Augenblick lang aussetzte. »Hast du Angst, dass du denselben Weg gehen wirst wie Phillip?«
»Woher weißt du das?«, zischte er mit einer Stimme, in der sich Erschrecken und Freude mischten.
»Deine Schwester spricht aus dem Grab.«
»Unmöglich!«
»Wirklich?« Die Finger schnippten gegen das Beweisstück, und Phalons Blick wechselte von der Dunkelheit zu dem alten Pergament. Er sah, wie sich die Hand mit dem wertvollen Brief zurückzog. »Sag mir, warum du einen Fetzen Papier fürchtest!«
Phalons Gesichtszüge wurden scharf und hart. »Niemals!«
»Sag es mir!«
Das Messer ritzte.
»Wenn es in deinem Besitz ist, dann weißt du es auch.«
»Die Wahrheit«, sagte die Stimme, so finster wie die Nacht.
»Ich liebte sie. Mein Gott, ich habe sie angebetet... und sie hat mich betrogen.«
»So wie Phillip Elizabeth geliebt hat?«
Eine Weile herrschte Schweigen. »Sie hatte diesen ... Brief. Die Frauen der Blackwells haben ihn weitergegeben wie in einer Art Ritual. Es galt ein Versprechen, ihn verborgen zu halten. Sie drohte, mich, meine Familie, unsere Familie zu vernichten. Für die anderen!« Er wollte sich aufrichten, aber der Druck auf seinen Knien verstärkte sich, und das Licht näherte sich seinem Gesicht. »Gib ihn mir!«, zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Warum hat sie dir gedroht? Was hast du getan?«
Er ließ den Kopf in den Nacken fallen und bot seine Kehle wie ein Opfertier dar, wobei er an die Decke sah. Immer wieder schluckte er und leckte sich über die Lippen.
»Phalon?«
»Ich versuchte ... sie zu lieben.«
Leise nahm er einen tiefen Atemzug und blickte in das Licht. Er versuchte, etwas hinter dem grellen Schein zu erkennen, aber konnte nur schwach einen schwarzen Umriss ausmachen, der sich gegen einen noch schwärzeren Hintergrund abhob. Sie wussten es, ehe er auch nur das Geringste gesagt hatte. Er erkannte jetzt, dass sie alles wussten. Er war zutiefst beschämt, dass er sich an seine Schwester herangemacht hatte. Es war eine peinliche Angelegenheit, für die er das Erbe schlechten Blutes verantwortlich machte. Er musste den Brief wieder in seinen Besitz bringen, den Beweis dafür, dass auch in ihm, in seinen Adern diese widernatürlichen Strebungen lagen. Und er musste den
Brief vernichten. Dann wäre alles wieder sauber ... er wäre sauber und frei.
»Was verlangst du von mir?«, flehte er und hasste die Schwäche in seiner Stimme.
»Warte nur ab, Rothmere.« Die Stimme wurde leiser und voller dunkler Andeutung. »Die Blackwells sind zurück.«
Das Licht ging aus, der Druck auf seine Brust war plötzlich nicht mehr da. Er tat einen langen, tiefen Atemzug, ehe er bemerkte, dass er allein war. Phalon setzte sich auf und versuchte, die Decken zurückzuwerfen, aber seine Arme waren taub. Ungeduldig schüttelte er sie ab und stieg aus dem Bett. Das Gefühl war noch nicht wieder in seine Arme zurückgekehrt. Im Dunkeln tappte er zu der Schublade, in der die Waffe lag. Mit der Waffe in der Hand knipste er das Licht an und sah sich im Zimmer um. Nicht einmal ein Vorhang bewegte sich. Das große Schlafzimmer lag kalt und leer da. Er ließ die Waffe sinken, warf sie in die Schublade zurück und rieb sich die Arme, um die Blutzirkulation wieder in Gang zu bringen.
Wie sie an den Brief gekommen waren, konnte er sich nicht vorstellen, aber die Erinnerung an Annora, die ihm den Brief vorlas, wurde in ihm wach. Drohend hatte sie ihn hochgehoben. Sie würde ihn als Beweismittel gebrauchen, falls er sie noch einmal anrührte. Sie wusste genau, wie viel ihm seine Abstammung bedeutete, wie sehr er bemüht war, Schmutz vom Namen der Rothmeres fern zu halten. Er hatte gehofft, Alexander habe den Brief in seinem Kummer zerstört, wie die meisten ihrer persönlichen Gegenstände. Er hatte gehofft, dass er damit endgültig der Vergangenheit angehörte.
Einen Augenblick lang hatte er in der vergangenen Woche gedacht, O’Keefe
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