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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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zeigte ihm, was mir auffiel, hüpfte vor ihm her und war fest entschlossen, sein gelangweiltes Benehmen nicht wahrzuhaben. Als er mit dem Fuß in eine Fuchshöhle trat und gereizt fluchte, fragte ich ihn, was er am Sonntag vorhabe. Er stand auf einem Bein und betastete den Knöchel. Dann trat er vorsichtig auf, humpelte und sagte, daß er morgen zu seiner Frau fahre.
    Die Antwort nahm mir für Augenblicke den Atem. Ich war unfähig, einen Gedanken zu fassen. Mein Gehirn kreiste taumelnd um dieses Wort. Ich wollte etwas sagen, eine unverbindliche Phrase, um ihm meine Gelassenheit zu demonstrieren, und zermarterte mir den Kopf. Stell dich nicht so an, sagte ich mir, du wirst doch nicht so blöd sein. Vor Wut hätte ich laut aufheulen können. Ich fühlte mich gedemütigt, hintergangen. Er hatte mir nichts gesagt. Nie hatte er von einer Frau gesprochen, davon, daß er verheiratet sei. Und nun die unvermutete Mitteilung. Seine Frau. Er erzählte es ganz nebenbei. Irgendwo hatte er eine Frau, auch zwei Kinder. Ich fühlte mich maßlos gekränkt.Warum hatte er es mir nicht gesagt, warum nur. Warum sagte er es jetzt.
    Ich lief immer weiter. Ich lief, um nicht hinzufallen. Der Wunsch, jetzt allein zu sein, mich hinzuwerfen und laut zu heulen.
    Ich wollte ihn nicht haben. Ich hatte nie die Absicht, ihn für mich haben zu wollen. Ich war seit langem fest entschlossen, nie wieder zu heiraten, nie wieder irgendeinem Menschen das kleinste Recht über mich einzuräumen. Unsere stillschweigende Übereinkunft, daß keiner für den anderen verantwortlich sei, daß keiner sich vor dem anderen zu verantworten habe, nahm ich sehr ernst. Ich war überzeugt, daß ich niemals meine Distanz zu Menschen aufgeben durfte, um nicht hintergangen zu werden, um mich nicht selbst zu hintergehen. Im Hintergrund das Wissen um meine stete Bereitschaft, mich aufzugeben, Sehnsucht nach der Infantilität. Der schwere, süßliche Wunsch, geborgen zu sein. Wie der drückende und doch angenehme Duft von verwelkenden Totenblumen. Ich war gegen mich gewappnet.
    Und nun seine lapidar vorgebrachte Auskunft, das unklare Gefühl, wiederum betrogen zu sein. Ein Entsetzen, das mein Gehirn lähmte, den Atem nahm. Warum, warum aber. Ich war nichts anderes als das Verhältnis eines verheirateten Mannes. Das übliche, lächerliche, tausendfach durchgespielte, banale Verhältnis. Vorgeprägtes Muster einer Flucht. Der geradezu normierte, langweilende Ausgang aus einer Pflicht, aufrechterhalten aus dem höheren Interesse von Herrschaft, unhaltbar in Gedanken, Worten und Werken.
    Mir war übel. Mein Gesicht brannte vor Scham. Ich lief immer weiter in den Wald, die Zweige schlugen gegen meine Knie, in mein Gesicht. Ich spürte den Herzschlag. Dann die näher kommenden Schritte Henrys. Plötzlich eine Natter vor mir, die sich rasch vom Stein ins Gebüschschlängelte. Ich erschrak, knickte um. Ich verwünschte die hohen Absätze. Ich humpelte weiter. Henrys Hand packte mich am Arm, riß mich herum. Warum rennst du, keuchte er, was hast du. Er faßte nach meinem Gesicht, ich wich zurück. Sein rechtes Auge war fast zugeschwollen, der obere Wangenknochen bläulich verfärbt. Die Schwellung verzerrte sein Gesicht. Eine groteske Maske, die mich anschrie.
    Nach Luft ringend, stand er vor mir. Er versuchte, zu Atem zu kommen. Sein Kopf ging keuchend auf und nieder. Dabei starrte er mich stumpfsinnig an. Warum lachst du, fragte er. Er schüttelte meinen Arm, warum lachst du. Er griff so fest zu, daß es mir weh tat. Dein Auge, konnte ich nur hervorbringen und merkte erst jetzt, daß ich laut und hysterisch lachte. Ich schüttelte mich vor Lachen. Nur nicht aufhören, dachte ich und lachte weiter, immer weiter. Ich spürte, wie meine Kehle sich zuschnürte, sich verengte. Du wirst heiser, kam mir in den Kopf. Ich versuchte, weiterzulaufen. Mit beiden Händen schüttelte er mich, riß an mir. Schlag nur zu, dachte ich, du willst doch jetzt schlagen, du brauchst es doch jetzt. Warum lachst du, fauchte er böse. Ich machte mich los, lief weiter. Er packte meine Schulter, warf sich auf mich, wir fielen auf feuchten Erdboden. Im Rücken spürte ich etwas Hartes, eine Baumwurzel vielleicht. Oder Abfall. Er riß an meinen Sachen, und ich klammerte mich an ihn. Sein Mund lag neben meinem Ohr. Er keuchte. Noch immer sein: Warum lachst du. Er streifte mein Kleid hoch, zerrte an der Hose. Ich grub die Finger in seinen Nacken. Vor meinen Augen tanzte ein Zweig mit stumpfen, glanzlosen

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