Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
bedenken, Clara, dass wir alle drei nun schon seit drei Wochen keine Briefe mehr erhalten haben. Vielleicht ist die Sache ohnehin zu Ende.«
»Vielleicht«, meinte Clara wenig überzeugt. Sie fröstelte trotz des heißen Tages. »Vielleicht ist es vorbei, Agneta, aber keine von uns kann im Moment schon wieder in ihr normales Leben zurückkehren. Vielleicht können wir es nie mehr, wenn die Sache ungeklärt bleibt. Ich fühle mich nicht sicher. Und du dich auch nicht, wenn du ehrlich bist.«
»Nein«, gab Agneta zu, »ich fühle mich auch nicht sicher.«
Beide schwiegen sie einen Moment. Clara lauschte die ganze Zeit über angespannt nach draußen. Sie würde jetzt Marie hereinholen. Sofort. Und dann die Gartentür sorgfältig verschließen.
»Ich rufe dich morgen an«, sagte Agneta schließlich, »und bis dahin ist uns entweder eingefallen, um welche Geschichte es sich handeln könnte. Oder wir gehen zur Polizei, ohne zu wissen, um was es geht. Ich verspreche dir, Clara, wir unternehmen etwas.«
Sie verabschiedeten sich. Clara lief sofort hinaus, räumte den Laufstall ins Wohnzimmer und setzte Marie hinein, die zu weinen begann, weil sie draußen bleiben wollte. Sie verschloss sorgfältig die Verandatür, überzeugte sich, dass auch sonst überall im Haus Türen und Fenster verschlossen waren.
Sie sperrte den herrlichen Tag aus, seine Sonne und seine Wärme, die brummenden Bienen und tanzenden Falter, den Duft der Blumen und den des warmen Grases.
Sie sperrte das Leben aus – aber nicht ihre Angst.
5
Kommissar Kronborg saß wieder einmal im Wohnzimmer, auf demselben Sessel wie am Abend zuvor. Trotz der Hitze war er wie stets korrekt gekleidet. Dankbar hatte er ein Glas Wasser akzeptiert und schon fast leer getrunken. Eine sehr blasse Karen saß ihm gegenüber.
»Dieses Ehepaar«, sagte Kronborg, »Fred und Greta Lenowsky, scheint tatsächlich nicht einen einzigen Angehörigen gehabt zu haben. Es gibt keine Kinder, keine Geschwister, keine Nichten und Neffen, offenbar nicht einmal Cousins oder Cousinen. Zwei völlig allein stehende Menschen, die nur noch einander hatten. Sie waren wohl sehr einsam.«
»Sie schienen aber auch keinen Kontakt zu wollen«, sagte Karen. »Als ich mich ihnen als neue Nachbarin vorstellte, waren sie nicht direkt unfreundlich, aber auch alles andere als herzlich. Sie erweckten nicht den Anschein, als ob sie eine nähere Bekanntschaft mit uns aufbauen wollten. Eher hatte ich den Eindruck, mein Besuch wäre ihnen etwas lästig.«
»Wir haben noch einmal mit den Nachbarn auf der anderen Seite gesprochen«, sagte Kronborg. »Demnach gab es wohl eine Putzfrau, die regelmäßig zweimal die Woche ins Haus kam. Anhand des Adressbuches von Frau Lenowsky haben wir ihre Nummer ermittelt und sie kontaktiert. Sie erklärte, sie sei zu Beginn der letzten Woche von Fred Lenowsky angerufen worden. Er habe ihr gesagt, er und seine Frau würden für drei Wochen verreisen, sie brauche also nicht zu kommen. Sie war sehr überrascht, zum einen, weil sie drei Tage zuvor dort gewesen war und niemand etwas von einer längeren Reise erwähnt hatte. Zum anderen, weil sie normalerweise dann, wenn die Lenowskys verreisten, gebeten wurde, mehrmals in der Woche in ihr Haus zu gehen und sich um
die Post und die Blumen zu kümmern. Sie sprach das auch an, aber Fred Lenowsky hat ihr äußerst schroff erklärt, sie solle sich um nichts kümmern und keinesfalls herüberkommen. Woraufhin sie sehr gekränkt war, und, wie sie sagt, nun unter keinen Umständen mehr einen Finger rühren wollte. Also kümmerte auch sie sich nicht mehr um die beiden alten Menschen und um das Haus.«
»Aber Fred Lenowsky stand bereits unter Druck«, vermutete Karen.
Kronborg nickte. »Massiv vermutlich. Er musste dafür sorgen, dass die Putzfrau keinesfalls plötzlich aufkreuzte. Wahrscheinlich hatte er ein Messer an der Kehle. Er hat nicht einmal versucht, ihr versteckt irgendeinen Hinweis zu geben. «
»Oder ihm ist so schnell keine Möglichkeit eingefallen. Ich glaube nicht, dass ich in einer solchen Situation noch halbwegs klar denken könnte.«
»Was mich beschäftigt«, sagte Kronborg, »ist die Frage, woher der Täter von der Existenz der Putzfrau wusste. Natürlich muss das nicht von Bedeutung sein; die Lenowskys waren alt und bewohnten ein ziemlich großes Haus. Dass sie, um es sauber zu halten, Hilfe in Anspruch nahmen, musste auch einer Person, die nicht mit den Lebensgewohnheiten dort vertraut war, als ziemlich
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