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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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lauter Verzweiflung, und obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, auf keinen Fall zu weinen.
    Verdammt, hör auf!, sagte sie sich, aber die Tränen flossen nur noch heftiger.

    Immerhin, dachte sie, würde sie in späteren Jahren – falls es spätere Jahre für sie gab und sie diesen Irrsinn überlebte – immer Verständnis für ihre Schwäche haben.
    In einer Lage wie der ihren war es erlaubt, zu weinen.
    4
    Ein Stück Normalität war in Claras Leben zurückgekehrt. Sie war noch immer angespannt, wenn sie zum Briefkasten ging, um nach der Post zu sehen, aber mit jedem Tag, der verging, ohne dass wieder einer der schrecklichen Briefe auftauchte, wurde sie ein wenig ruhiger. Ihre Knie zitterten nicht mehr so sehr, wenn sie aus dem Küchenfenster blickte und den Postboten die Straße entlangkommen sah, und sie hatte nun sogar zum ersten Mal seit langer Zeit wieder eine ganze Nacht durchgeschlafen, ohne zwischendurch aufzuwachen und, von Herzrasen geplagt, eine Stunde lang in die Dunkelheit zu starren, deren Undurchdringlichkeit ihr grausame Bilder spiegelte.
    Vielleicht war das Schlimmste überstanden. Vielleicht hatte sich der Irre ein neues Opfer gesucht, das er schikanieren konnte. Vielleicht hatte er sie zufällig ausgewählt und ebenso zufällig wieder fallen gelassen. Wogegen natürlich der Umstand sprach, dass auch Agneta betroffen gewesen war. Sie waren Kolleginnen gewesen. Das machte einen Zufall wiederum höchst unwahrscheinlich.
    Bert war an diesem Mittwoch wieder frühmorgens zur Arbeit aufgebrochen, nicht ohne einen wehmütigen Blick auf seine kleine Familie zu werfen. Clara, die Marie auf dem Schoß hielt und fütterte, im Licht der einfallenden Morgensonne. Die Tür zum Garten stand offen, es roch nach taufeuchtem
Gras, und man konnte die Vögel laut zwitschern hören.
    »Wie gerne bliebe ich bei euch«, hatte er seufzend gesagt, »ich versäume so viel Zeit mit Marie! Macht euch einen schönen Tag. Geh viel in den Garten mit der Kleinen, Clara! Die Luft ist gesund für sie!«
    Clara hatte Marie in ihren Laufstall auf der Terrasse gesetzt, dafür gesorgt, dass sie im Schatten war und ihren stoffbezogenen Zauberwürfel bei sich hatte, der beim Herumkullern Musik machte. Sie selbst räumte das Haus auf, putzte das Badezimmer und sortierte die trockene Wäsche vom Vortag. Sie hatte viel zum Bügeln heute. Sie würde sich das Bügelbrett auch auf die Veranda stellen.
    Um kurz nach zehn Uhr klingelte das Telefon. Es war Agneta, und kaum dass Clara die Stimme ihrer einstigen Kollegin erkannte, merkte sie, wie ihr Gaumen trocken und ihre Beine weich wurden. Die Angst saß noch viel dichter unter der Oberfläche, als sie in ihrer Euphorie wegen der durchschlafenen Nacht vermutet hatte.
    »Hallo, Agneta«, sagte sie betont munter, »wie geht’s?«
    »Ich habe gestern den ganzen Tag Nachforschungen angestellt. « Agneta kam ohne Umschweife zur Sache. »Ich habe mit so ziemlich allen Kolleginnen von damals telefoniert. Es war gar nicht so einfach, weil einige inzwischen auch anderswo arbeiten, oder sie haben geheiratet, sind weggezogen und haben andere Namen.«
    »Und?«, fragte Clara. Sie hatte wieder das altvertraute Herzrasen.
    »Keine. Keine hat solche Briefe erhalten. Und ich wüsste nicht, warum jemand in dieser Sache lügen sollte.«
    Aus irgendeinem Grund empfand Clara diese Aussage als beruhigend. Sie wusste nicht genau, warum, aber es war ihr lieber, dass sie und Agneta die einzigen Betroffenen waren,
als dass sie hätte erfahren müssen, dass das gesamte Jugendamt mit Drohbriefen überzogen wurde.
    »Allerdings«, fuhr Agneta fort, »habe ich dann doch noch jemanden gefunden, dem das Gleiche passiert ist wie uns.«
    Clara umklammerte den Telefonhörer so fest, als wolle sie ihn zerquetschen. Also doch. Die Kreise wurden größer.
    »Erinnerst du dich an Sabrina?«, fragte Agneta. »Sabrina Baldini? Die mit diesem gut aussehenden Italiener verheiratet ist?«
    Clara kam der Name nur vage bekannt vor. »Ich kann sie im Moment nicht einordnen«, sagte sie.
    »Ich kannte sie vom Studium her. Sie war auch Sozialpädagogin, aber nach ihrer Heirat hörte sie auf zu arbeiten. Sie war dann nur noch zeitweise für eine Privatinitiative tätig, die sich der Gewaltprävention in Familien verschrieben hatte. Kinderruf hieß die Einrichtung.«
    » Kinderruf «, wiederholte Clara, »ja. Ich kannte die Organisation. Ich hatte ein paarmal mit ihnen zu tun.«
    »Sabrina betreute zwei – oder dreimal in der Woche das so

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