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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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müde aus und viel älter, als er war. Noch immer roch er so schrecklich ungewaschen.

    »Ich fange bei meiner Familie an«, verkündete er schließlich. »Du sollst wissen, woher ich komme. Inga, mein Vater ist der schlimmste Bastard, den du dir denken kannst. Er säuft, er schläft bis in die Puppen, und wenn er zwischendurch einmal Arbeit findet, verliert er sie nach kürzester Zeit wieder, weil er an den meisten Tagen seines Lebens zu betrunken ist, um überhaupt sein Bett zu verlassen. Ich habe in der übelsten Gegend von München gelebt. Hochhäuser. Sozialwohnungen. Meine Mutter ist eine Schlampe. Sie säuft fast genauso viel wie mein Alter, und wenn sie beide richtig zugedröhnt sind, fangen sie an, aufeinander einzuschlagen. Sie sind so kaputt, wie du dir zwei Menschen überhaupt nur vorstellen kannst. Als ich fünf Jahre alt war, brach mir mein Vater den Arm. Nicht aus Versehen, nein. Er war wütend, weil er in der Wohnung kein Geld fand, um Schnaps zu kaufen, und er verdächtigte mich, an die Familienkasse gegangen zu sein. Die Familienkasse war ein leeres Gewürzgurkenglas, in dem sich gelegentlich etwas Geld befand – Sozialhilfe, die nicht sofort versoffen wurde. Das Glas stand ganz oben auf einem Regal, und ich konnte überhaupt nicht drankommen, nicht mal, wenn ich auf unsere schrottreife Trittleiter stieg. Aber das interessierte meinen Vater nicht. Er packte mich, legte meinen linken Arm über eine Stuhllehne und brach den Knochen. Einfach so, als zersplitterte er ein Streichholz. Er meinte, das würde mich davon abhalten, je wieder Geld zu nehmen, das mir nicht gehört.«
    Marius hielt inne. Er sprach sehr gleichmütig, fast ohne Bewegung.
    Inga schluckte. Ihr Mund fühlte sich an, als sei er mit Glaswolle gefüllt. »Mein Gott«, sagte sie leise.
    »Ja, so war das«, sagte Marius. Er stand auf, machte wieder ein paar Schritte auf und ab. Dann blieb er direkt vor Inga stehen. »Und jetzt denkst du sicher: Wie schrecklich!
Wie asozial! Wie sehr muss Marius seine Eltern gehasst haben? «
    Sie hörte den Unterton in seiner Stimme und reagierte mit Vorsicht. »Ich denke, es waren trotzdem deine Eltern.«
    Er nickte. »Genau. Ganz genau. Sie konnten auch ganz anders sein, weißt du. Sie waren total solidarisch. Einmal haben mir andere Jungs beim Spielen meinen Ball abgenommen. Ich war fünf Jahre alt und kam heulend nach Hause. Mein Vater lag mit grausamen Kopfschmerzen im Bett, aber als ich ihm die Geschichte erzählt hatte, stand er auf, zog sich an und ging mit mir zu den sämtlichen Eltern der anderen Jungs und machte einen riesigen Zirkus. Und als wir den Jungen gefunden hatten, bei dem der Ball war, musste er ihn mir zurückgeben. Wir gingen zusammen nach Hause, mein Vater und ich, und ich hatte den Ball im Arm und dachte, ich platze fast vor Stolz. Und ich dachte, eigentlich kann mir gar nichts mehr passieren, weil mich ja mein Vater beschützt. Es war ein gutes Gefühl.« Er lächelte. Er setzte sich wieder. Inga, die den Atem angehalten hatte, atmete lautlos aus.
    »Das war ein richtig gutes Gefühl«, wiederholte Marius. Er lächelte wieder. »Es gab oft gute Gefühle. Und oft schlechte. Das Schlimme war, dass man nichts berechnen konnte. Alles war Willkür. Aber inmitten dieser Willkür, dieser guten und schlechten Gefühle, der abscheulichen Augenblicke und der schönen Momente hatte ich meinen Platz. Er war mir vertraut. Er gehörte mir. Ich war ein Teil dieser beiden durchgeknallten Alkoholiker. Manchmal fühlte ich mich für sie verantwortlich. Manchmal hatte ich Angst vor ihnen. Manchmal liebte ich sie.« Er sah Inga an. »Kannst du das verstehen?«
    »Ja.« Sie nickte. »Ja, ich denke, das kann ich verstehen.«
    Er atmete tief durch.
    »Und dann begann das Desaster«, sagte er.

    7
    Er saß bei Rebecca im Zimmer, einer gefesselten, mucksmäuschenstillen Rebecca, und überlegte, wann die fremde Frau zum ersten Mal erschienen war. Ganz sicher, bevor sein Vater ihm den Arm gebrochen hatte. Also war er selbst jünger als fünf Jahre gewesen. Vier vielleicht, oder erst drei? Nein, eher vier. Er erinnerte sich recht gut an sie, und von etwas, das er im Alter von drei Jahren erlebt hatte, würde er vielleicht nicht so klare Bilder haben.
    Sie hatte eines Tages im Wohnzimmer gesessen und sich mit seinen Eltern unterhalten. Es kam so selten Besuch zu ihnen – eigentlich fast nie, nur manchmal die Nachbarin, von der Mama behauptete, sie habe es auf Papa abgesehen, und man sich fragte, was sie

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