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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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dass sie überhaupt noch am Leben war.
    Er ist gefährlich. Vergiss es keine Sekunde lang!
    »Das Schlimme ist«, sagte sie, »dass wir unsere Vergangenheit nicht loswerden können. Wir können sie immer wieder über Phasen hinweg verdrängen, aber zwischendurch taucht sie auf und steht vor uns und macht uns das Leben schwer. Wir entkommen ihr nie wirklich, vor allem nie endgültig. Es ist besser …« Sie sah ihn an, versuchte herauszufinden, ob ihre nächsten Worte ihn wieder von ihr wegtreiben konnten. Er sah entspannt aus.
    »Es ist besser, wir stellen uns ihr irgendwann«, fuhr sie fort, »wir schauen in ihr Gesicht, versuchen sie zu akzeptieren und von nun an mit ihr zu leben. Nur dann können wir sie verarbeiten.«
    Er begann auf seiner Unterlippe herumzukauen. »Verarbeiten«, wiederholte er, »denkst du, man kann alles verarbeiten? Alles? «
    Sie vernahm eine leise Vibration in seiner Stimme. Sie musste auf der Hut sein.
    »Manches ist sehr schwer zu verarbeiten«, sagte sie.
    Ein Schatten glitt über sein Gesicht. Seine Augen blickten
nicht mehr so offen drein. Er war dabei, sich wieder in jene Welt zu verabschieden, in der ihn die Dämonen schrecklicher Erinnerungen beherrschten und peinigten.
    »Schwer«, sagte er, »schwer! Was weißt du schon davon? Du hast es doch niemals schwer gehabt in deinem Leben! Bei dir war doch immer alles in Ordnung! Das Leben auf dem Land! Das reetgedeckte Häuschen! Deine fürsorgliche Mutter, dein liebevoller Vater, deine vielen reizenden Geschwister … bei euch ging’s doch zu wie bei der Walton – Familie! Woher willst du etwas davon verstehen, wie das Leben für manche anderen Menschen aussieht?«
    Sie sah ihn beschwörend an, hoffend, sie könnte ihn zurückhalten, ihr wieder völlig zu entgleiten.
    »Vielleicht hatte ich es viel einfacher als du. Vielleicht wird es mir schwer fallen, dein Leben und dein Schicksal wirklich zu verstehen. Aber gib mir doch eine Chance. Erzähle mir von dir. Es kann doch auch sein, ich verstehe dich besser, als du denkst. Ich kann dir helfen. Und womöglich siehst auch du selbst viel klarer, wenn du endlich darüber sprichst und nicht mehr alles in dir verschließt!«
    Er kaute immer heftiger auf seiner Unterlippe herum. Ihre Worte bewegten ihn, wühlten ihn auf.
    Wenn er redet, dachte sie, dann habe ich einen Fußbreit Boden gewonnen. Wenn er mir vertraut, kann ich Einfluss auf ihn nehmen.
    Wenn es nur nicht zu spät war für Rebecca. Sie durfte nicht nach ihr fragen, das hätte in diesem heiklen Moment alles zerstört, aber innerlich vibrierte sie vor Nervosität.
    Was hast du mit Rebecca gemacht?
    »Ich weiß nicht«, sagte er schließlich. Er sah jetzt fast kindlich aus, unschlüssig, etwas verlegen. »Ich weiß nicht, ob es Sinn hat. Ob du das verstehen kannst!«
    »Gib mir die Chance«, bat sie.

    Er begann auf und ab zu gehen. Seine Bewegungen waren aggressiv, an der Grenze zum Unkontrollierten.
    »Vielleicht willst du dann nichts mehr mit mir zu tun haben! Wenn du erst einmal weißt, woher ich komme!«
    Es gelang ihr, eine Mischung aus Empörung und Gekränktsein in ihren Blick zu legen. »Wie schätzt du mich denn ein? Dass ich Menschen danach beurteile, woher sie kommen? Ich muss sagen, wenn das so ist, kennst du mich ganz schön schlecht!«
    Für den Moment hatte sie ihn an der Angel. Er schaute sie reumütig an. »Entschuldige. Ich wollte dich nicht verletzen. Du hast mir nie etwas getan.«
    »Ich habe dich geliebt«, sagte Inga.
    »Liebst du mich jetzt nicht mehr?«, fragte Marius.
    Sie zögerte. »Du hast mich ausgeschlossen. Vielleicht, wenn ich dich wieder verstehe …«
    »Ja.« Sie erreichte ihn mit ihren Worten. Überzeugte ihn. Er sah ein, dass er nicht offen genug gewesen war. Dass Offenheit die Grundlage einer Beziehung war. Inga konnte in seinen Zügen erkennen, wie all diese Gedanken abliefen. Sie wagte, einen ersten Funken Hoffnung zu schöpfen. Hoffnung, dass sie lebend aus diesem Drama herauskommen würde.
    »In Ordnung. Ich werde dir alles erzählen«, sagte Marius in einer Art feierlichem Ernst. Er zog einen Stuhl heran, setzte sich Inga gegenüber. Dass sie noch immer gefesselt war, dass er noch immer kein ausgeglichenes Verhältnis zwischen ihr und sich hergestellt hatte, schien er nicht zu bemerken. Inga wagte nicht, davon anzufangen. Wenn er den Verdacht schöpfte, dass sie ihn austricksen wollte, war alles verloren.
    »Also, wo fange ich an?« Marius strich sich mit der Hand über das Gesicht. Er sah

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