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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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dem jungen Mann überworfen und vielleicht den Kontakt
abgebrochen hatten. Aber deswegen muss er noch lange nicht ihr Mörder sein!«
    »Nein. Aber völlig ausschließen kann man es auch nicht.«
    Wolf erhob sich. Als großer, breitschultriger Schatten stand er vor dem Schein der Gartenlaterne. »Zum Glück sind nicht wir es, die das klären müssen«, sagte er. »Wir haben schließlich auch genug eigene Sorgen. Wie ist es? Du willst wirklich nicht mit uns in den Urlaub fahren?«
    »Nein. Ganz sicher nicht.«
    »Und weiterhin dort oben schlafen?«
    »Ja.«
    Er nickte langsam. »Ich denke nicht, dass ich mich dauerhaft auf diese Art, eine Ehe zu führen, einlassen kann.«
    Er wollte ihr drohen. Er hatte noch nicht verstanden, dass er sie nicht mehr erreichte.
    »Nach den Ferien«, sagte Karen, »müssen wir zusammen überlegen, wie es weitergeht.«
    »Ich habe ja in der Türkei ausgiebig Zeit, darüber nachzudenken«, sagte Wolf.
    Als er im Haus verschwunden war, ziemlich steifbeinig und beleidigt – er fühlte sich ungerecht und undankbar behandelt – , lehnte sich Karen in ihrem Stuhl zurück und atmete tief durch. Die Nacht war so warm und samtig, so voller Sterne. Voller leiser Stimmen. Die Kühle des Herbstes schien noch in weiter Ferne zu liegen. Den ganzen August hatte sie noch vor sich. Ihr Lieblingsmonat. Mit seiner Reife und Fülle und den satten Farben, mit seiner Wärme und mit seiner allerersten Melancholie des bevorstehenden Abschieds. Sie würde ihn hier in ihrem Garten verbringen, zusammen mit Kenzo. Ohne Wolf, ohne die Kinder.
    Schon die ganze Zeit über fragte sie sich, wie wohl das Gefühl hieß, das sich langsam, jeden Tag etwas mehr, in ihr auszubreiten begann. Ein schönes Gefühl, ein beglückendes Gefühl,
aber zugleich auch beängstigend. Sehr fremd. Es war voller Versprechungen, aber es schien auch Bedrohliches bereitzuhalten.
    Zum ersten Mal an diesem Abend, in diesem Moment, dämmerte ihr die Antwort.
    Das Gefühl hieß Freiheit.

Donnerstag, 29. Juli
    1
    Er hatte die deutliche Erinnerung an ein Gespräch seiner Eltern , das er belauscht hatte. Sie hatten immer darauf bestanden, dass er von ihnen als von seinen Eltern sprach, mehr noch, sie hatten ihm gesagt, sie erwarteten, dass er sie auch als Eltern empfand. Wenigstens hatte er nicht Mama und Papa sagen müssen. Er nannte sie Greta und Fred. Am liebsten hätte er ihn vielleicht noch Arschloch , und sie dumme Pute genannt. Oder Weichei . Weil sie sich kein bisschen gegen ihren Mann behaupten konnte.
    Er war an jenem Abend die Treppe hinuntergeschlichen. Wie alt war er gewesen? Zwölf Jahre vielleicht. Ziemlich hoch aufgeschossen für sein Alter. Er war dünn und hatte immerzu Hunger. An jenem Abend besonders. Sie hatten ihm wieder einmal nichts zu essen gegeben. Wegen irgendeines Vergehens. Er wusste es nicht mehr, denn es gab so viele Möglichkeiten in diesem Haus, gegen Regeln und Gesetze zu verstoßen, dass er Einzelheiten nicht hatte behalten können. Vielleicht hatte er vergessen, die Post aus dem Briefkasten zu holen oder Gretas blöde Geranien zu gießen, oder er hatte zu viel Milch getrunken. Greta markierte den Flüssigkeitsstand der Milch mit Filzstiftstrichen auf der Packung. Sie konnte sich entsetzlich aufregen, wenn er sich mehr nahm, als ihm ihrer Ansicht nach zustand.
    Greta und Fred hatten Gäste an jenem Abend. Irgendein
Ehepaar, er kannte es nicht. Er war allerdings auch nicht wie sonst zur Begrüßung herbeikommandiert worden, denn schließlich war er wieder einmal in Ungnade gefallen, und sie hatten ihm nicht erlaubt, sein Zimmer zu verlassen. Aber er hatte oben an der Galerie gestanden und hinuntergespäht, und er hatte nicht den Eindruck, dass er den älteren Herrn im dunklen Anzug und die Dame mit den frisch gelegten grauen Locken und dem etwas zu engen grünen Seidenkleid kannte. Aber es war auch egal. Er mochte keinen von Lenowskys Freunden. Irgendwie waren sie alle gleich. Wohlhabend und gediegen, und die meisten spielten Golf oder segelten. Sie redeten immer von ihrem Handicap oder von einer Regatta, an der sie teilgenommen hatten. Die Menschen in dem Wohnblock, in dem er mit seinen Eltern – mit seinen richtigen Eltern – gelebt hatte, hatten nie über solche Dinge gesprochen.
    Greta hatte gekocht, und ein herrlicher Duft war durch das Haus gezogen. Er hatte Krämpfe bekommen vor Hunger, und er hatte irgendwann gemeint, wahnsinnig werden zu müssen, wenn er nichts zu essen bekam. Auf eine etwas fantasielose

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